Caruso singt nicht mehr
Bettdecke: für jedermann und niemanden. Für einen Gast aus der Vergangenheit, vielleicht. Für Ralph, wahrscheinlich.
Fehlt nur noch ein Hinweisschild, dachte sie mit Selbstironie. »Hier hat Ralph sein Haupt gebettet« – an jedem Abend. Oder vielmehr an jedem Abend, an dem er nicht bei seiner Familie war. Bei seiner Frau, genaugenommen, korrigierte sich Karen. Bei der er geblieben sein dürfte, als er vor vier Jahren eines Morgens Abschied von ihr nahm und nie mehr zurückkehrte. Irgendwo, nun ja, mußte er ja geblieben sein.
Seither war diese Seite ihres Bettes frei geblieben. Was auch gut so war, dachte Karen und gähnte. Sie brauchte diese Hälfte des Bettes dringend – als Zwischendeponie für all die Akten, die sie aus dem Büro mit nach Hause brachte, um sie morgens vor dem Aufstehen in Ruhe zu studieren. Einen Milchkaffee und ein Diktiergerät an ihrer Seite, die einschlägige Akte auf dem Schoß – so begann ein vernünftiger Tag. Ein Mann würde dabei nur stören. Karen vermißte nichts. Meistens jedenfalls.
Es wäre natürlich schon ganz nett, wenn man sich nicht immer selbst den Kaffee machen müßte, dachte sie und angelte mit den nackten Füßen nach ihren Sandalen. Und wenn einem jemand morgens freundlich den Rücken kraulte. Wie das mit der Sexualität ging, hatte sie auch schon fast vergessen. »Eigentlich bist du noch nicht reif für den erotischen Vorruhestand«, sagte sie sich, als sie in die Küche ging. Aber wahrscheinlich war alles irgendwie gut so – so, wie es war.
In Wirklichkeit, dachte Karen oft, waren die Männer die Sehnsüchtigen. Die Frauen lebten und überlebten. Wie ihre Freundin Marion, die sich in Liebesdingen ebenfalls nie sonderlich zielstrebig angestellt hatte. »Liebste«, hatte sie zu Karen gesagt, als beide des ganzen Themas noch nicht überdrüssig waren, »rational kalkuliert ist es schon angesichts der geringeren Lebenserwartung der Männer besser, sich an keinen zu binden. Es tut ja schon weh genug, wenn das Haustier stirbt.« Sie hatten beide darüber schrecklich gelacht – auch jetzt mußte Karen wieder grinsen. »Von wegen: Nur Männer sind sexistisch«, brummelte sie und goß den Espresso in die heiße Milch.
Im Bett griff sie zufrieden zur Zeitung. Es war Samstag und erst neun Uhr. Nichts lag an, was nicht warten konnte.
Um halb zwölf zog sie ihren rosa Dufflecoat an – Ja, Paul, dachte sie, ich weiß: Das beißt sich mit meiner Haarfarbe – und ging zu Fuß zur Konstablerwache, zum Bauernmarkt. Ausnahmsweise war heute der Himmel einmal klar, und es sah nicht nach Regen aus. Schade nur, dachte Karen, daß um diese Jahreszeit die Sonne schon so tief stand, daß die Häuser lange Schatten auf Straßen und Plätze warfen. Sie freute sich darauf, an einem der Biertische in der Sonne zu sitzen, Wein zu trinken und sich das ganze Spektakel um sie herum in Ruhe anzuschauen.
Auf dem Markt drängelte sich halb Frankfurt. Die Buden und Verkaufsstände mochten im Vergleich zum Sommer weniger geworden sein, die Besucher, wollte ihr scheinen, nicht. Karen fädelte sich ein in den Menschenstrom, der sich im Prozessionstempo durch die schmalen Gassen zwischen den Buden und Ständen bewegte. Zum samstäglichen Bauernmarkt kamen die Lebensmittelproduzenten aus der Region, keine fliegenden Händler mit dem ewig gleichen Angebot. Die Frankfurter kamen begeistert, allerdings nicht nur zum Einkaufen, sondern um zu essen, zu trinken, Freunde zu treffen. Karen hatte an den Tischen und Ständen schon englische Brokerinnen und polnische Putzfrauen, Frankfurter Zahnärzte und ungarische Frühpensionäre, deutsche Kabarettisten und italienische Modehauschefinnen getroffen – und wer weiß, wer all die anderen waren, die sie ausnahmsweise mal nicht neugierig ausgefragt hatte.
Gleich vorn saß heute der Bauer, wie er im Bilderbuch stand: ein rotgesichtiger Alter im zerschlissenen blauen Trojer, der für ein paar Mark verhutzelte Äpfel und die letzten Astern der Saison feilbot. Der junge Mann mit den Küchenkräutern vier Stände weiter hatte sich bereits auf Winter eingestellt und verkaufte Kräuterglühwein. Vor dem Stand für die leckersten Käse weit und breit – Rohmilchziegenkäse aus dem »Biosphärenreservat Rhön« – stand die übliche lange Warteschlange. Darauf hatte sie heute keine Lust. Karen kaufte sich eine Vogelsberger Bauernbratwurst, wie immer bei Vater und Sohn, beide im blaugestreiften Hemd und mit einer speckigen Batschkapp auf dem Kopf. Die beiden
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