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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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lachten sie an, man kannte sich mittlerweile. Treue, dachte sie gutgelaunt, lohnt sich eben.
    »Ei wie?« begrüßte vor ihr ein Herr in Schlips und Anzug einen Mann in Lederjacke und Jeans. »Und selbst?« antwortete der. Karen grinste. An Tagen wie diesen mochte sie Frankfurt. Sie schlenderte über den Platz und drängelte sich zwischen kauenden, schwatzenden und flanierenden Menschen hindurch. Die meisten machten einen für die Stadt und die Jahreszeit ungewohnt glücklichen Eindruck. Karen konnte das nach vollziehen: Ihr ging es ähnlich.
    Sie kaufte ein bißchen Gemüse, ein bißchen Schinken, Rotebeetesalat, ein Lammkotelett, Eier, zwei Hühnerbeine. Dann balancierte sie einen Teller mit Handkäs und ein Glas Wein an einen Stehtisch, den noch ein paar Sonnenstrahlen erreichten, und amüsierte sich mit den üblichen soziologischen Studien: In welchem Alter bekommen Männer heutzutage ihre Kinder? Was trägt die Frau über dreißig im Herbst? Woran erkennt man Studienräte? Und wieviel Wein verträgt eine Frankfurterin jenseits der 75 – drei von dieser Sorte deklinierten am Nebentisch im breitesten Frankfurterisch die Weltlage im Nahbereich durch: die Schwangerschaften ihrer Enkelinnen. Karen seufzte zufrieden auf und nahm einen großen Schluck.
    Am Nachbartisch betätigte ein elegant gekleideter Inder mit Geduld und Ausdauer sein Handy, gottlob ohne den gewünschten Erfolg. Zwei Ureinwohner stritten sich über die Zukunft der Frankfurter Eintracht. In wehendem Mantel, rotem Schal und breitrandigem Hut vollzog ein stadtbekannter Universitätsprofessor seinen samstäglichen Auftritt. Und die weißhaarige alte Dame mit dem leicht geröteten Puppengesicht und den vielen Plastiktüten war wieder da, die vor dem Stand mit den gerösteten Maiskolben schweratmend ihre Habe ablegte, um die kostenlose Mahlzeit entgegenzunehmen, auf die sie bei fast jedem der Marktbeschicker ein Gewohnheitsrecht hatte.
    Karen erkannte Dani Ebinger erst, als sie vor ihr stand. Dani hatte ein geradezu sagenhaftes Talent, sich unsichtbar zu machen. Selbst Karen Stark, die Unübersehbare, versuchte, sich in Danis Nähe kleiner zu machen. »Es kommt einem einfach unanständig vor«, hatte sie ihr mal gestanden, »in deiner Gegenwart aufzutrumpfen.« Dani war die Bescheidenheit in Person. Und das in einer Branche, die vom Exhibitionismus lebt, dachte Karen und legte ihre Wange an Danis Wange, erst rechts, dann links. Dani Ebinger war die künstlerische Leiterin des »Trapez«. Sie entwarf das artistische Programm, dem das Frankfurter Varieté seinen Ruf verdankte.
    Als Karen sich wieder aufrichtete, blickte sie in ein paar karamelfarbene Augen, die sie voll gespannter Aufmerksamkeit beobachteten. Irritiert merkte Karen, daß ihr warm wurde. »Das ist David«, sagte Dani und drehte sich zu dem Mann um, der hinter ihr stand. »David Wlassow – Karen Stark.«
    »Schön, Sie wiederzusehen«, sagte der Mann, den sie vorgestern in ihrem Trainingsstudio getroffen hatte, und neigte höflich den Kopf.
    »Kennt ihr euch schon?« fragte Dani, nur mäßig verblüfft. »Nein!« sagten beide gleichzeitig und lachten. Karen konnte sich auch später nicht erklären, warum sie beide über ihre Begegnung schwiegen. Soviel Einverständnis zwischen Fremden?
    Dani holte sich einen Apfelwein und brachte David ein Wasser mit. Er prostete Karen zu und sagte erklärend, mit Blick auf das Glas: »Ich muß heute noch arbeiten.«
    »Ich nicht!« antwortete Karen, hob das ihre und lachte ihn an.
    Wer war er? Jongleur, Schwerttänzer, Katzenbändiger? Es konnte nur ein Artist sein, mit dem Dani an einem Samstagmorgen durch die Gegend zog. Er ließ sie nicht aus den Augen. »Entweder macht er das immer so«, dachte Karen. »Oder es geht ihm wie mir.«
    Sie war dabei, dachte sie heiter und schon etwas beschwipst, sich zu vergucken. In einen Mann. In einen Mann, der einen guten Kopf kleiner war. Wahrscheinlich kaum Deutsch sprach. Und von dem sie nur eines ganz sicher wußte: Er war erheblich stärker als sie.
    »Mach keinen Quatsch, Karen«, mahnte die Kontrollinstanz in ihrem Inneren. »Und warum eigentlich nicht, zum Teufel?« fragte ihr unbelehrbar leichtsinniges Ich zurück. Karen trank noch einen Schluck Wein und spürte, wie ihr wieder die Wärme ins Gesicht stieg. Du errötest doch hoffentlich nicht, durchfuhr es sie, du bist schließlich nicht mehr dreizehn.
    Dani, die sensible Dani, die noch die Schneeflocken fallen hören konnte, mußte plötzlich dringend etwas

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