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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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überwachen. Carvalho ist zu ihr getreten und berichtet:
    Â»Rocco hat Biscuter einen kleinen Besuch abgestattet.«
    Â»Woher weiß er, dass es Rocco war? Hat er das gesagt?«
    Â»Hat Rocco keine roten Haare und rötliche Wangen?«
    Â»Doch.«
    Â»Dann war es Rocco.«

9 La Dolce Vita
    Die Alte war so restauriert, dass ihre Haut jeden Moment abzuplatzen drohte. Auch der nicht mehr zu verbergende Haarausfall wirkte sich nicht gerade positiv auf ihr Erscheinungsbild aus. Alles im La Dolce Vita war alt und roch nach abgestandener Katzenpisse, vielleicht weil es im Lokal von alten Katzen wimmelte. Sie zeigte auf die Tiere.
    Â»Das sind meine letzten Gäste. Der Laden hat schon bessere Zeiten gesehen. Das weißt du ja selbst am besten, Pep, das weißt du ja selbst am besten. Na klar erinnere ich mich an Helga, Helga Singer, wie sie genannt werden wollte, ihr Künstlername. War ganz schön eingebildet, als sie hier ankam. Als hätte sie mit Mirtha Legrand gearbeitet, als hätte Alberto Closas gesagt, die junge Dame wäre das größte Talent des argentinischen Theaters. Von wegen jung, Dame oder Closas. Hier arbeitet man, um was zwischen die Zähne zu bekommen, Mädchen, habe ich zu ihr gesagt, das ist hier nicht die Royal Opera,
Maca
. Sie hatte eine schöne Fotokollektion bei sich, das schon, aber sie tanzte nicht, sie sang nicht, an den Beinen sah man schon die Cellulite, und ihre Titten konnte sie nicht vorzeigen, weil die auch schon ihre besten Zeiten hinter sich hatten. Was sie machte? Sie sprach Tangos, denn Tangos werden gesprochen, nicht gesungen, wie sie behauptete. Sie rezitierte Tangos, und das machte sie gut, sie erinnerte mich ein wenig an die Singerman-Schwestern, auch wenn sie versicherte, ihr Vorbild sei Nacha Guevara. Aber sie war nicht so theatralisch wie Berta Singerman. Ich bin bei Tourneen der Singerman im Vorprogramm aufgetreten, als Helga nach Spanien kam. Ich soll dir erzählen, wie sie war? Ich zeig dir das Video einer Werbekampagne, die wir hier Ende der Achtziger gedreht haben und die überhaupt nichts gebracht hat,
reiet
? Das Lokal wird nächste Woche abgerissen oder umgebaut, damit hier eine Universität einzieht, was weiß ich. Pompeu Fabra, glaube ich, Universität Pompeu Fabra. Keine Ahnung, wer dieser anmaßende Typ war. Wenn man schon Pompeu heißt!«
    Nach dem Auftritt eines Bauchredners und einer als Bäuerin gekleideten und beim Singen von
Valencia, Land der Blumen
ertappten Valencianerin tauchten aus der Vergangenheit die Bilder einer stark gealterten, schlechtgekleideten und durch Nachlässigkeit fett gewordenen Helga auf, die auf der Bühne steht und rezitiert:
    Â»Sehr geehrtes Publikum, von der großen chilenischen Dichterin Gabriela Mistral das Gedicht ›Scham‹:
    Wenn du mich anblickst, werd ich schön,
    schön wie das Riedgras unterm Tau.
    Wenn ich zum Fluss hinuntersteige,
    erkennt das hohe Schilf mein seliges Angesicht
    nicht mehr.
    Ich schäme mich des tristen Munds,
    der Stimme, der zerrissnen, meiner rauen Knie.
    Jetzt, da du mich, herbeigeeilt, betrachtest,
    fand ich mich arm, fühlt ich mich bloß.
    Am Wege tratst du keinen Stein,
    der nackter wäre in der Morgenröte
    als ich, die Frau, auf die du deinen Blick geworfen,
    da du sie singen hörtest.«
    Biscuter gefielen die Kommentare aus dem Off von Pepita de Calahorra – der großen Erneuerin der Jota –, während Helga auf dem Bildschirm die Rezitatorin gab. Aber er konnte sich einfach nicht mit dieser vom Lauf der Zeit besiegten Emmanuelle abfinden und überblendete das Bild ihrer Niederlage mit dem eines Mädchens, das in einem philippinischen Korbsessel saß und drauf und dran war, die argentinische Emmanuelle zu werden. Er hörte, wie sie in dem Video weiter ihren Text aufsagte ... »Ich werde schweigen. Keiner soll mein Glück / erschauen, der durch das Flachland schreitet / den Glanz auf meiner plumpen Stirn nicht einer sehen / das Zittern nicht von meiner Hand ...«
    Spärlicher Applaus setzte ein, und auf Zuruf hin begrüßte sie die Zuschauer.
    Â»Und nun, mein hochverehrtes Publikum, singe – oder besser gesagt – spreche ich
Ingenuidad
für Sie, denn Tangos singt man nicht, man spricht sie. Maestro, das ist für Sie!«
    Dem alten Pianisten schien die Huldigung der Frau, die in seinen Augen wahrscheinlich nicht mehr als eine dicke Coupletsängerin war, völlig

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