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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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überlegt Carvalho, was er tun und was er besser lassen sollte. Nicht einmal mit einem geistreichen oder sarkastischen Satz kann er sich abreagieren. Er ist derart verwirrt und gelähmt, dass jeder Versuch eines beweiskräftigen Akts der Verteidigung von vornherein aussichtslos ist. Trotzdem muss er etwas unternehmen. Das gehört zu den Pflichten eines Besiegten. Seit seiner Kindheit weiß er, dass man zurückschlagen muss, wenn man geschlagen wird, irgendwie, auch wenn es noch so kläglich ist. Man muss dem Gegner klarmachen, dass auch seine Kräfte Grenzen haben, die Grenze deiner Würde. Nur gegen den Staat als Aggressor, beim Foltern durch seine Beamten vertreten, kann man nichts ausrichten. Er besitzt das Gewaltmonopol, seine Büttel haben auf die Fahne geschworen und machen dich für Gott und Vaterland fertig. Aber selbst einem Killer muss man versuchen, in die Eier zu treten, und wenn es der letzte Tritt in deinem Leben ist. Die Kerle stinken furchtbar, ihre Motorradstiefel nach dem Fett unterernährter Pferde. Aus einem nahen Mund dringt der Geruch von Zwiebeln zu ihm, zusammen mit dem von Ketchup und Hamburgern, zweifellos von McDrive und noch auf dem Motorrad verschlungen, mit Fingern, die nach einer Mischung aus Benzin und grünlichen Popeln aus den Tiefen einer von schwarzen und wachsfarbenen Pickeln überzogenen Nase riechen. Zumindest dem nach Hamburger Stinkenden muss man etwas entgegnen, man muss ihm den Rat geben, ihn lehren, mit feinerem Gaumen durchs Leben zu gehen. Inzwischen gibt es nichts mehr zu zerstören, und ein anderes Paar Stiefel kommt auf ihn zu. Plötzlich tritt das ein, was Carvalho am meisten befürchtet hat. Biscuters Stimme. Aus dem Treppenhaus.
    Â»Was ist da drinnen los. Wer ist dort?«
    Es ist nicht mal eine Stimme, es ist ein schiefes Schreien, geboren am Ende eines – man könnte sagen gesplitterten – Brustbeins.
    Â»Kommen Sie mit erhobenen Händen raus! Das hier ist keine Spielzeugpistole!«
    Die Stiefel verharren regungslos. Die Typen machen sich Zeichen, reden mit gedämpften Stimmen. Carvalho nutzt das leichte Nachlassen des Drucks, um sich blitzartig umzudrehen und den Zwiebelstinker an Nase und Lippen zu packen. Carvalhos Aktion und Biscuters Gebrüll lösen eine Fluchtbewegung in Richtung Treppenhaus aus. Das Gesicht, in das Carvalho seine Finger gekrallt hat, gleicht tatsächlich dem Phantombild, das er in seiner misslichen Lage von ihm angefertigt hat. Der Kerl verpasst Carvalho zwei heftige Schläge ins Gesicht, damit er ihn loslässt, doch die Finger des Detektivs haben sich längst in seine Augen, seine widerliche, pickelübersäte Nase und zwischen seine herunterhängenden, von Carvalhos Reißen schon ganz zerfetzten Lippen gebohrt. Mit der anderen Hand, der mit Füßen getretenen, gelingt es Carvalho, eine Faust zu formen und damit auf die rechte Schläfe von Polyphem einzuschlagen, denn mittlerweile hat der Typ nur noch ein funktionierendes Auge, in dem anderen stecken die Fingernägel des Detektivs. Der Zwiebeltyp jault vor Schmerz auf und schlägt wild um sich, kann aber Carvalhos Gesicht nicht erwischen. Aber jemand kommt ihm zu Hilfe und tritt Carvalho gegen den Kopf, was ihn für einen Moment außer Gefecht setzt. Als er wieder zu sich kommt und sich wütend auf die Knie hochrappelt, ist er allein, umgeben von Zerstörung, während sich die Stiefel mit großen Sprüngen entfernen und wahrscheinlich bei ihrer Flucht die Treppe hinunter Biscuter niedertrampeln. Als Carvalho aufsteht, wird ihm erneut schwindlig, aber er schafft es bis zur Treppe, wo er sich auf das Geländer stützt und gerade noch verschwommen die Fersen des letzten fliehenden Angreifers sieht. Und Biscuter?
    Â»Chef?«
    Carvalho dreht sich um, kurz davor, ohnmächtig zu werden, aber zuvor seufzt er noch erleichtert auf. Da ist Biscuter, er ist wohlauf und kommt in seinem Anzug von der Schneiderei Modelo, den Hut schief auf dem Kopf, eine Hand in der Hosentasche, die Treppe herunter.
    Â»Chef?«
    Als Carvalho wieder zu sich kommt und sich in Bildern, die wie eine Flut über ihn hereinstürzen, an die Ereignisse erinnert, versucht er aufzustehen, doch Biscuter zwingt ihn, sich wieder auszustrecken. Wo? Auf dem Boden.
    Â»Es gibt keinen einzigen Stuhl mehr, Chef. Meine Bettcouch sieht aus wie eine Harfe. Keine Ahnung, warum die Typen sie aufrecht hingestellt haben, aber was noch

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