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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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Villa am Tigre statt, in einem wunderschönen englischen Herrenhaus an einem der vielen Flussarme, ein Haus, das man nur mit dem Boot erreichen konnte und das Oberst Osorio gehörte, einem Typ aus dem militärischen Establishment, halb Militär, halb Geschäftsmann, aus guter Familie. Das Haus platzte aus allen Nähten, der Alkohol floss in Strömen, und natürlich fehlte auch das nicht, was die Italiener
palpo e mano morta
nennen, also Fummeln.
    Es herrschte so viel Trubel, dass Helga sich bei ihrem Auftritt die Lunge aus dem Hals schreien musste. Sie gab ihr Bestes – und kein Arsch interessierte sich für sie. Wir haben uns dann unter die Gäste gemischt und mitgefeiert. Sie wimmelte die aufdringlichen Kerle ab, trank aber immer mehr von dem Punsch, einem Punsch, den man mit dem Streichholz hätte anzünden können. Später ging sie sich das Haus anschauen, verließ die Party, getrieben vom Alkohol. Bis sie auf einen Keller stieß, der sich unterhalb des Flusspegels befand und in den das Wasser sickerte. Er war mit einer schweren Eisentür versperrt, und außer einer kleinen Luke mit zwei Eisenstangen davor gab es keine Luftlöcher. Helga glaubte, zwei menschliche Bündel zu erkennen. Es roch nach Chloroform, so stark, dass sie fast ohnmächtig wurde, als sie die Nase durch das Gitter steckte. ›Ist dort jemand?‹, rief sie ein paarmal, als sich plötzlich eins der Bündel bewegte und jemand mit schwächlicher Stimme leise um Hilfe flehte. Helga rannte los, um mich zu suchen. Auf dem Weg in den Keller musste sie mich stützen, so betrunken war ich. Ich sollte bestätigen, was sie gesehen hatte. Eins der Bündel war nach wie vor reglos, aber das andere kroch auf uns zu, und wir erkannten das blasse, verängstigte Gesicht einer jungen Frau. ›Helfen Sie mir‹, sagte sie mit leiser Stimme. ›Ich bin Spanierin. Ich bin Spanierin. Man hat mich verschleppt.‹ Wir sollten besser gehen, sagte ich zu Helga, die Sache stinke nach Militär, und mit diesen Leuten wolle ich nichts zu tun haben. Und dann bin ich einfach gegangen. Ich gebe es zu. Ich hatte all meinen Mut verloren, für immer. Ich verließ das Fest, die Villa, Buenos Aires. Helga blieb und redete mit der armen Frau, sie erfuhr ihren Namen, Noemí Álvarez, aus Asturien. ›Rufen Sie den spanischen Botschafter an!‹, flehte die Frau. Helga war viel zu betrunken, sonst wäre sie vernünftiger gewesen. Aber so fiel ihr nichts Besseres ein, als den Hausherrn, diesen Typ, der die Party gab, zu suchen und ihn nach der halbtoten Frau in seinem Keller zu fragen. Osorio, Olavarría und seine Freunde lenkten sie irgendwie ab und hielten sie bei Laune, dann gingen sie zusammen in den Keller. Die beiden Bündel waren verschwunden, doch das Erlebnis hatte sich ihr für immer eingeprägt. Als Helga am nächsten Tag versuchte, zur spanischen Botschaft zu gehen, haben ihr zwei Autos den Weg versperrt. Sie ist zu Roccos Haus gerannt, hat ihm alles erzählt. Sie mussten handeln. Das war der Beginn ihrer Flucht, eine Flucht, die mit einem Doppelmord in Barcelona endete.«
    Carvalho führte sich vor Augen, was er gerade gehört hatte, und in seinem Gehirn tauchten die Gesichter von Personen auf, die nicht recht in die Geschichte passten. Gilda. Gilda Muchnik. Ihre Ehe ausgerechnet mit Olavarría, die Beständigkeit der Verbindung Osorio & Olavarría, fast zwanzig Jahre später. Dorotea ahnte, welche Gedanken dem Detektiv durch den Kopf schossen, und versuchte, ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
    Â»Am Ende sorgte Olavarría mithilfe des Terrors für ihr Schweigen und für Roccos und Helgas Flucht aus Buenos Aires. Um sicherzugehen, nahm er Gilda als Geisel, indem er sie heiratete. Ein schmutziges Spiel, bei dem er sogar damit drohte, ihre Schwester zu verfolgen. Als das Militär stürzte, zogen sie nach Spanien, wo seine Erpressung weiterging, obwohl das kaum noch nötig war, schließlich war Helga am Ende und keine Gefahr mehr für ihn. Es wäre nichts geschehen, die Leichen wären vergessen worden, wenn die Straftaten, die von der argentinischen Militärjunta an spanischen Bürgern begangen worden waren, nicht plötzlich juristisch verfolgt worden wären. Rocco hat es nicht mehr ausgehalten, für ihn war der Moment gekommen, sich zu erinnern und auszusagen, was sie damals im Keller der Villa am Tigre

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