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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Stundeleise miteinander. Nachdem der Graf hinausgegangen war, trat Caspar zum Schreibtisch, streifte den Diamantring von seinem Finger und legte ihn mit bedächtiger Gebärde auf einen angefangenen, in englischer Sprache geschriebenen Brief; dann schritt er zum Fenster und blickte in das Schneetreiben.
    Stanhope kam allein zurück. Er fragte, ob Caspar wisse, wo er untergebracht werden solle. Caspar bejahte.
    »Es ist am besten, wir gehen mal gleich zu den Lehrersleuten hin, um dein künftiges Quartier in Augenschein zu nehmen,« sagte der Lord.
    Caspar nickte und wiederholte: »Ja, es ist am besten.«
    »Der Weg ist nicht weit,« meinte Stanhope, »wir können zu Fuß gehen; wenn du es aber wünschest und die Zudringlichkeit der Menschen scheust, die zu erwarten ist, kann ich den Wagen bestellen.«
    »Nein,« erwiderte Caspar freundlich, »ich gehe lieber; die Leute werden sich schon trösten, wenn sie sehen, daß ich auch auf zwei Beinen spaziere.«
    Da fiel Stanhopes Blick auf den Ring. Erstaunt nahm er ihn in die Hand, sah Caspar an, sah den Ring an, überlegte mit zusammengezogenen Brauen, lächelte flüchtig und wild, dann legte er den Ring schweigend in eine Lade, die er verschloß. Als ob nichts geschehen wäre, zog er den Mantel an und sagte: »Ich bin bereit.«
    Das Aufsehen in den Gassen war erträglich; es spielte sich alles in Ruhe ab, das Volk hier war gutmütig und scheu.
    Über dem Tor des Quandtschen Hauses war ein Kranz aus Immergrün aufgehängt, in dessenMitte auf einem Pappendeckel ein gemaltes »Willkommen« prangte. Quandt trat den Ankömmlingen im braunen Bratenrock entgegen, sonntäglich aussehend, seine Frau hatte einen schottischen Schal umgehängt, damit ihr körperlicher Zustand weniger auffällig hervortrete.
    Zuerst wurde Caspars Zimmerchen besichtigt, das im obern Flur lag. Der Raum hatte auf einer Seite eine schiefe Mansardenwand, bot aber sonst ein nettes Ansehen. Über dem altväterisch-bunten Kanapee hing ein schwarzgerahmter Stich; das Bild stellte ein unsagbar schönes Mädchen vor, das die Arme schmerzlich nach einem Jemand ausstreckte, von dem man gerade noch zwischen Gebüschen die Beine und einen fliegenden Mantel sah. An der andern Wand hingen zwei längliche Deckchen, worauf Sinnsprüche eingestickt waren; auf dem einen: »Früh auf, spät nieder bringt verlorene Güter wieder«; auf dem andern: »Hoffnung ist des Lebens Stab von der Wiege bis zum Grab«. Auf dem Sims standen Töpfe mit Winterblumen, und über niedriges Dächerwerk hinweg konnte sich der Blick an einer lieblich geschlossenen Landschaft ergötzen; schneeweiße Hügel begrenzten in nicht zu großer Weite das ansteigende Tal.
    Caspar war es beim Hinschauen recht jämmerlich zumute; er dachte gewisser Vorstellungen von ehedem, die jetzt keinen Bezug mehr hatten: eine Fahrt mit weitgestecktem Ziel; die Straße läuft fröhlich dem Wagen voran; Wolken teilen sich beim Näherkommen; Berge treten gefällig zur Seite; die Luft schwirrt vom Gesang der Fremde; Wälder und Wiesen, Dörfer und Städtchen hüpfen im besonnten Nebel vorüber, und unterdem schließenden Ring des Himmels strömt Welt auf Welt hervor.
    Es war nicht mehr an dem.
    Unten im Wohnzimmer dunsteten die frischgefegten Dielen noch von Feuchtigkeit. Quandt setzte dem Lord die wichtigsten Punkte seines Programms auseinander. Bisweilen schaute er Caspar dabei an, und sein Blick war dann durchdringend wie bei einem Schützen, der das Ziel fixiert, ehe er die Flinte anlegt.
    Stanhope sagte, er schätze sich glücklich, daß Caspar endlich Aussicht auf eine geregelte Bildung habe, alles bisherige sei ja nur Willkür und Ungefähr gewesen. Wenn der Herr Staatsrat nicht so fest darauf bestanden hätte, daß Caspar in Ansbach bleibe – dies sollte offenbar eine Erklärung gegen den still zuhörenden Jüngling sein –, wären sie ohne Zweifel heute schon in England oder doch auf dem Weg dahin. »Da ich ihn aber in so guten Händen weiß,« fügte er hinzu, »bin ich nichtsdestoweniger froh; man sieht daraus, daß auch ein unerwünschter Zwang oft die ersprießlichsten Folgen hat.«
    Seine Worte waren trocken; es war, als rede sein Hut oder sein Stock. Das Kompliment, das sie enthielten, war schal, oft gebraucht wie Spülwasser. Aber für Quandt waren sie eine Herzenserquickung. Er belebte sich zusehends und meinte eifrig, es sei am geratensten, wenn Caspar noch heute einziehe. Stanhope schaute Caspar fragend an; dieser senkte den Kopf, worauf sich der Lord

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