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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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rascher Folge verkauft waren, weigerte der Verleger plötzlich unter allerlei Ausflüchten den Druck, und als man sich an zwei andre wandte, kamen ebenfalls Absagen. Daß dahinter die tückischesten Umtriebe stecken, samt und sonders aus ein und derselben Quelle, kann man sich nicht verhehlen, und ich möchte mir die Lippen wund beißen, wenn ich daran denke, in was für Zuständen wir zu leben gezwungen sind, daß selbst ein Mann wie unser Vater für eine Sache, dieso, wie sie ist, zum Himmel schreit, kein williges Ohr findet, von tätiger Hilfe ganz zu schweigen. Wahrhaftig, die Menschen sind träge, stumpfe, dumme Tiere, sonst wäre mehr Empörung in der Welt. Nun magst du dir aber erst unsern Vater vorstellen: seine bittere Verstimmung, seinen Schmerz, seine Verachtung, und alles zurückgehalten, in seiner Brust zugeschlossen. Was mußte er fühlen, da sogar aus dem nächsten Freundeskreis kein Zeichen des Beifalls, des Dankes, der Liebe mehr zu ihm flog! Gewisse hochgestellte Personen hielten mit ihrem Ärger nicht zurück, und hier, in dem abscheulichen Krähwinkel, hatte man ohnehin wenig Aufhebens von der ganzen Geschichte gemacht, begreiflicherweise, denn Christus mag Rom erobern, zu Jerusalem ist er nur ein schäbiger Rabbi. Ich bin in großer Sorge für unsern Vater. Ich kenne ihn genug, um zu wissen, daß seine jetzige äußerliche Ruhe nur den inneren Sturm verbirgt. Manchmal sitzt er stundenlang und starrt auf eine einzige Stelle an der Wand, und wenn man ihn dann stört, schaut er einen mit großen Augen an und lacht lautlos und weh. Neulich sagte er ganz plötzlich und mit finsterer Miene zu mir: das Rechte sei, wenn aus solcher Ursache heraus wie in früheren Zeiten der ganze Mann sich stelle, mit Haut und Haar müsse man sich opfern und dürfe sich nicht hinter einem Wall bedruckten Papiers verschanzen. Er wälzt Pläne in seinem Hirn, die Nachricht, daß im Badischen eine Revolution ausgebrochen ist, hat ihn mächtig angegriffen, und in der Tat scheint diese Katastrophe mit der Caspar-Hauser-Sache in innigem Zusammenhange zu stehen. Er glaubt in einem verabschiedeten und irgendwoam Main lebenden Minister einen der Hauptanstifter der an dem Findling begangenen Greuel vermuten zu dürfen, und – kaum will mir der Satz in die Feder! – er hat die Absicht, den Mann aufzusuchen, ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Der Polizeileutnant Hickel, der unheimliche Geselle, dem ich nicht über den Weg traue, kommt nun fast täglich ins Haus und hat lange Konferenzen mit Vater, und soviel ich bis jetzt den Andeutungen des Vaters entnommen habe, soll ihn Hickel in einigen Wochen auf die Reise begleiten. Könnt’ ich doch das, nur das verhindern! Er wird um dieser unseligen Geschichte willen den letzten Frieden seines Alters hingeben und er wird nichts ausrichten, nichts, nichts und wäre er ein Jesajas an Beredsamkeit, ein Simson an Kraft und ein Makkabäus an Mut. Ach, wir Feuerbachs sind ein gezeichnetes Geschlecht! Das Kainsmal der Ruhelosigkeit bedeckt unsre Stirnen. Sinnlos wirtschaften wir mit unsern Kräften und unsern Vermögen, und wenn die Überbleibsel noch gerade bis zur Kirchhofsmauer reichen, ist es schon ein Glück. Es ist uns nicht gegeben, einen harmlosen Spaziergang zu machen, wir müssen immer gleich ein Ziel haben, wir können nicht atmen, ohne eines wichtigen Zweckes zu gedenken, und in der Erwartung des nächsten Tages entgleitet uns jede holde Gegenwart. So ist er, so bist du, so bin ich, so sind wir alle. Ich habe noch nie an einer Rose gerochen, ohne darüber zu trauern, daß sie morgen verwelkt sein wird, noch nie ein schönes Bettelkind erblickt, ohne über die Ungleichheit der Lose zu spintisieren. Leb wohl, Bruder, der Himmel mache meine schlimmen Ahnungen unwirklich.«
    So der Brief. Das darin zum Ausdruck gebrachte Mißtrauen gegen den Polizeileutnant wuchs schließlich dermaßen, daß Henriette alle möglichen Anstrengungen machte, um den Vater mit Hickel zu entzweien. Es fruchtete nichts, aber Hickel roch Lunte und zeigte in seinem Benehmen gegen die Tochter des Präsidenten alsbald eine undurchdringliche, süßliche Liebenswürdigkeit. Als ihn Quandt aufsuchte und sich lebhaft darüber beklagte, daß der Präsident sich von Hauser habe beschwatzen lassen und dessen unbewachtes und unbehindertes Herumlaufen in der Stadt bewilligt habe, sagte Hickel, das passe ihm nicht, er werde dem Staatsrat schon den Kopf zurechtsetzen.
    Er ließ sich bei Feuerbach melden und trug ihm seine

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