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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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sich jedoch stetig.
    Direktor Wurm erzählte endlich dem Präsidenten davon. Feuerbach befahl, daß man Caspar zu ihm führen solle, wenn er das nächste Mal käme, und bestand trotz dem Abreden Henriettes auf seinem Willen. Es verging aber die ganze Woche, ehe sich Caspar wieder sehen ließ.
    Eines Nachmittags, schon ziemlich spät, erschien er und wurde von Henriette, nicht eben freundlich empfangen, in das Zimmer ihresVaters geleitet. Der Präsident saß im Lehnstuhl und hatte einen kleinen Berg von Akten vor sich aufgeschichtet. Er sah sehr gealtert aus, weiße Bartstoppeln umstanden Kinn und Wangen, sein Auge blickte ruhig, hatte aber einen ängstlichen Schimmer, wie bei einem, dem der äußerst gefürchtete Tod näher gewesen ist als er denken will.
    »Nun, was wünschen Sie von mir, Hauser?« wandte er sich an Caspar, der neben der Tür stehengeblieben war.
    Caspar trat heran, stolperte vor dem Schemel, fiel plötzlich auf die Knie und beugte in pagenhafter Demut das Haupt. Auch seine Arme sanken schlaff herunter, und er verharrte mit ergebener und düsterer Miene in derselben Stellung.
    Feuerbach verfärbte sich. Er packte Caspar bei den Haaren und bog den Kopf zurück, aber die Augen Caspars blieben geschlossen. »Was gibt’s, junger Mann?« rief der Präsident hart.
    Jetzt erhob Caspar den sprechenden Blick. »Ich hab’ es gelesen,« sagte er.
    Der Präsident ballte die Lippen aufeinander, und seine Augen verschwanden unter den Brauen. Ein langes Schweigen trat ein.
    »Stehen Sie auf,« herrschte endlich der Präsident Caspar an. Dieser gehorchte.
    Feuerbach packte ihn beim Handgelenk und sagte halb drohend, halb beschwörend: »Nicht mucksen, Hauser, nicht mucksen! Stille halten! Stille sein! Abwarten! Ist vorläufig nichts weiter zu tun.«
    Caspars Gesicht, stumm erregt wie das eines Fiebernden, wurde starrer.
    »Es graut Ihnen, jawohl,« fuhr der Präsident fort, »auch mir graut, und dabei muß es sein Bewenden haben. Unserm Arm sind nicht alle Fernen und Höhen erreichbar. Wir haben nicht Josuas Schlachttrompeten und Oberons Horn. Die hochgewaltigen Kolosse sind mit Flegeln bewehrt und dreschen so hageldicht, daß zwischen Schlag und Schlag sich unzerknickt kein Lichtstrahl zwängen kann. Geduld, Hauser, und nicht mucksen, nicht mucksen. Zu versprechen ist nichts; eine Hoffnung bleibt noch, aber dazu brauch’ ich Gesundheit. Genug für jetzt!«
    Er machte eine verabschiedende Geste.
    Caspar sah den alten Mann zum erstenmal klar und ruhig an. Der feste Blick wunderte den Präsidenten. Ei der Tausend, dachte er, der Bursche hat Blut in sich und kein Zuckerwasser. Schon im Fortgehen begriffen, drehte sich Caspar noch einmal um und sagte: »Exzellenz, ich hätte eine große Bitte.«
    »Eine Bitte? Heraus damit!«
    »Es ist mir so lästig, daß ich bei jedem Ausgehen immer auf den Invaliden warten soll. Er kommt oft so spät, daß es sich gar nicht mehr ums Weggehen lohnt. Ins Appellgericht kann ich doch alleine gehen und zu meinen Bekannten auch.«
    »Hm,« machte Feuerbach, »will’s überlegen, werd’ es richten.«
    Als Caspar das Zimmer verließ, huschte eine weibliche Gestalt längs des Korridors davon, einer ertappten Lauscherin gleich. Es war Henriette, die, in beständiger Angst um den Vater nichts so sehr fürchtete wie die Gefahr, die aus dessen leidenschaftlichem Anteil an dem SchicksalCaspars drohte. Es mag dafür ein Brief Zeugnis geben, den sie an ihren in der Pfalz wohnenden Bruder Anselm schrieb und der die unheilschwere Luft, die in der Umgebung des Präsidenten lastete, mit jeder Zeile spüren ließ.
    »Der Zustand unsers Vaters,« so begann das Schreiben, »hat sich, Gott sei Dank, zum Bessern gewandt. Er vermag schon, auf einen Stock gestützt, durchs Zimmer zu gehen und hat auch wieder Freude an einem guten Braten, wenngleich sein Appetit nicht mehr der frühere ist und er hin und wieder über Magenschmerzen klagt. Was aber seine Stimmung im allgemeinen anbelangt, so ist sie schlechter denn je, und zwar hängt dies vornehmlich mit der unglückseligen Caspar-Hauser-Schrift zusammen. Du weißt, welch riesiges Aufsehen die Broschüre im ganzen Land hervorgerufen hat. Tausende von Stimmen haben sich dafür und dawider erhoben, aber es scheint, daß das Dawider allmählich die Oberhand behalten hat. Die gelesensten Zeitungen brachten Artikel, die einander auffallend ähnlich waren und worin das Werk als Produkt eines überspannten Kopfes höhnisch abgetan wurde. Nachdem zwei Auflagen in

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