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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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gestehen Sie jetzt offen, wohin Sie gehen wollten,« sagte Quandt ernst.
    Caspar besann sich und erwiderte zögernd, er habe die Absicht gehabt, in die Orangerie zu gehen.
    »In die Orangerie? Warum? Zu welchem Zweck?«
    »Der Blumen wegen. Es sind dort im Frühjahr immer so schöne Blumen.«
    Hickel räusperte sich bedeutsam. Er blickte Caspar scharf an und sagte ironisch: »Ein Poet. Unter Blumen – laß mich seufzen ...« Dann nahm er seine militärische Miene an und erklärte bündig, er habe den Präsidenten bestimmt, die unbedacht gewährte Erlaubnis zu freiem Ausgehen wieder zu kassieren. Täglich um fünf Uhr werde sein Bursche antreten, und in dessen Gesellschaft möge Caspar tun, was ihm beliebe.
    Caspar blickte still auf die Gasse hinaus, wo die Frühlingssonne lag. »Es scheint –« murmelte er, stockte aber und sah ergeben vor sich hin.
    »
Was
scheint?« fragte der Lehrer. »Nur heraus damit. Halbgesagtes verbrennt die Zunge.«
    Caspar richtete die Augen forschend auf ihn. »Es scheint,« beendete er den Satz, »daß beim Präsidenten doch recht behält, wer zuletzt kommt.« Als er der Wirkung dieser bitteren Worte inne ward, hätte er sie gern wieder ungesprochen gemacht. Der Lehrer schüttelte entsetzt den Kopf, Hickel pfiff leise durch die gespitzten Lippen. Dann nahm er sein Notizbuch, das zwischen zwei Knöpfen seines Rockes stak, und schrieb etwas auf. Caspar beobachtete ihn mit scheuen Blicken, es flackerte wie ein Blitz über seine Stirn.
    »Natürlich werde ich den Staatsrat von dieser unziemlichen Bemerkung unterrichten,« sagte Hickel in amtlichem Ton.
    Als der Polizeileutnant gegangen war, bat Caspar den Lehrer, er möge ihn doch ausnahmsweise heute fortlassen, weil so schönes Wetter sei. »Es tut mir leid,« entgegnete Quandt, »ich muß nach meiner Instruktion handeln.«
    Der Bursche Hickels erschien erst gegen halb sechs. Caspar begab sich mit ihm auf den Weg nach dem Hofgarten, aber als sie hinkamen, war die Orangerie schon geschlossen. Schildknecht schlug vor, am Onolzbach entlang spazierenzugehen; Caspar schüttelte den Kopf. Er stellte sich an eines der offenen Fenster des Gewächshauses und blickte hinein.
    »Suchen Sie wen?« fragte Schildknecht.
    »Ja, eine Frau wollte mich hier treffen,« erwiderte Caspar. »Macht nichts, gehen wir wieder heim.«
    Sie kehrten um; als sie auf den Schloßplatz gelangten, sah Caspar Frau von Kannawurf, diein der Mitte des Platzes stand und einer großen Menge von Spatzen Brosamen hinstreute. Caspar blieb außerhalb der Sperlingsversammlung stehen; er schaute zu und vergaß ganz zu grüßen. Die Fütterung war bald beendet, Frau von Kannawurf setzte den Hut wieder auf, den sie am Band über den Arm gehängt hatte, und sagte, sie sei anderthalb Stunden lang im Gewächshaus gewesen.
    »Ich bin kein freier Mensch, kann nicht halten, was ich verspreche,« antwortete Caspar.
    Sie gingen die Promenade hinunter, dann links gegen die Vorstadtgärten. Schildknecht marschierte hinterdrein; der rotbackige kleine Mensch in der grünen Uniform sah drollig aus. Der größte von den dreien war überhaupt Caspar, denn auch Frau von Kannawurf hatte eine kindliche Gestalt.
    Nachdem sie lange Zeit schweigend nebeneinander her gewandert waren, sagte die junge Frau: »Ich bin eigentlich Ihretwegen in diese Stadt gekommen, Hauser.« Die ein wenig singende Stimme hatte einen fremden Akzent, und während sie sprach, pflegte sie hie und da mit den Lidern zu blinzeln, wie Leute tun, die ermüdete Augen haben.
    »Ja, und was wollen Sie von mir?« versetzte Caspar mehr unbeholfen als schroff. »Das haben Sie mir schon gestern im Theater gesagt, daß Sie meinetwegen gekommen sind.«
    »Das ist Ihnen nichts Neues, denken Sie. Aber ich will nichts von Ihnen haben, im Gegenteil. Es ist sehr schwer, im Gehen darüber zu reden. Setzen wir uns dort oben ins Gras.«
    Sie stiegen den Abhang des Nußbaumberges hinan und ließen sich vor einer Hecke auf den Rasen nieder. Ihnen gegenüber sank die Sonnegegen die Waldkuppen der schwäbischen Berge. Caspar schaute andächtig hin, Frau von Kannawurf stützte den Ellbogen aufs Gras und sah in die violette Luft. Schildknecht, als verstehe er, daß seine Gegenwart nicht erwünscht sei, hatte sich weit unterhalb auf einen umgestürzten Baum gesetzt.
    »Ich besitze ein kleines Gut in der Schweiz,« begann Frau von Kannawurf, »ich habe es vor zwei Jahren gekauft, um mir in einem freien Land einen Zufluchts- und Ruheplatz zu schaffen. Ich mache

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