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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Ihnen den Vorschlag, mit mir dorthin zu reisen. Sie können dort ganz nach Ihrem Wunsch leben, ohne Belästigung und ohne Gefahr. Nicht einmal ich selbst werde Sie stören, denn ich kann nirgends bleiben, es treibt mich immer woanders hin. Das Haus liegt vollständig einsam zwischen hohen Bergen im Tal und an einem See. Nichts Großartigeres läßt sich denken als der Anblick des ewigen Schnees, wenn man dort im Garten unter den Apfelbäumen sitzt. Da es viel Schwierigkeiten und viel Zeit kosten würde, wenn ich es durchsetzen wollte, Sie vor aller Welt hinzubringen, bin ich dafür, daß Sie mit mir fliehen. Sie brauchen nur ja zu sagen und alles ist bereit.«
    Sie hatte Caspar jetzt das Gesicht voll zugewandt, und dieser kehrte den etwas geblendeten Blick von dem roten Sonnenball weg und schaute sie an. Er hätte von Holz sein müssen, um diesem wunderschönen Antlitz gegenüber unempfindlich zu bleiben, und ganz von selbst, und als ob er ihr gar nicht zugehört hätte, fielen die verwunderten Worte von seinen Lippen: »Sie sind aber sehr schön.«
    Frau von Kannawurf errötete. Es gelang ihrnicht, hinter ihrem spöttischen Lächeln ein schmerzliches Gefühl zu verbergen. Ihr Mund, der etwas Kindlich-Süßes hatte, zuckte beständig, wenn sie schwieg. Caspar geriet in Verwirrung unter ihrem erstaunten Blick und sah wieder in die Sonne.
    »Sie antworten mir nicht?« fragte Frau von Kannawurf leise und enttäuscht.
    Caspar schüttelte den Kopf. »Es ist unmöglich zu tun, was Sie von mir wollen,« sagte er.
    »Unmöglich? warum?« Frau von Kannawurf richtete sich jäh auf.
    »Weil ich dort nicht hingehöre,« sagte Caspar fest.
    Das junge Weib sah ihn an. Ihr Gesicht hatte den Ausdruck eines aufmerksamen Kindes und wurde nach und nach so blaß wie der Himmel über ihnen. »Wollen Sie sich denn opfern?« fragte sie starr.
    »Weil ich dorthin muß, wo ich hingehöre,« fuhr Caspar unbeirrt fort und blickte immer noch gegen die Stelle, wo die Sonne jetzt verschwunden war.
    Ihn zu meinem Plan zu bekehren, ist vergeblich, dachte Frau von Kannawurf sogleich; großer Gott, wie wahr, wie einfach alles vor ihm liegt: ja – nein, schön – häßlich; er betrachtet die Dinge nur von oben. Und wie sein Gesicht grenzenlose Güte mit einer naiven und zärtlichen Traurigkeit vereint; man ist benommen und erstaunt, wenn man ihn anschaut.
    »Was aber wollen Sie tun?« fragte sie zaudernd.
    »Ich weiß es noch nicht,« entgegnete er wie im Traum und verfolgte mit den Augen eine Wolke, welche die Gestalt eines laufenden Hundes hatte.
    Also was man mir berichtet hat, ist falsch; er fürchtet sich ja gar nicht, dachte das junge Weib. Sie erhob sich und ging ungestüm voraus, den Hügel hinunter an Schildknecht vorbei, der zu schlafen schien. Man muß ihn schützen, dachte sie weiter, er ist imstande und rennt in sein Verderben; was er tun wird, weiß er nicht, natürlich, er ist wahrscheinlich nicht fähig, einen Plan zu machen, aber er wird handeln, er trägt eine Tat mit sich herum und wird vor nichts mehr zurückschrecken; es ist nicht schwer, ihn zu erraten, obwohl er aussieht wie das Schweigen selbst.
    Sie blieb stehen und wartete auf Caspar. »Ei, Sie können ordentlich laufen,« sagte er bewundernd, als er wieder an ihrer Seite war.
    »Die frische Luft macht mich ein bißchen wild,« antwortete sie und holte tief Atem.
    Als Frau von Kannawurf und Caspar durch den Torbogen des Herrieder Turmes gingen, sahen sie plötzlich neben einem leeren Schilderhäuschen den Polizeileutnant. Und beide blieben unwillkürlich stehen, denn der Anblick hatte etwas Erschreckendes. Hickel lehnte nämlich mit der Schulter gegen das Häuschen und sah aus wie zur Bildsäule erstarrt. Trotz der Dunkelheit konnte man wahrnehmen, daß sein Gesicht aschfahl war, und es lag über seinen Zügen eine bleierne Düsterkeit. Hinter ihm stand sein Hund, eine große graue Dogge; das Tier war genau so regungslos wie sein Herr und blickte unverwandt an ihm empor.
    Caspar zog grüßend den Hut; Hickel bemerkte es nicht. Frau von Kannawurf sah noch einmal zurück und flüsterte fröstelnd: »Wie furchtbar! Was für ein Mann! Was mag ihn peinigen!«
    War es denkbar, daß der Polizeileutnant, etwa durch neue Spielverluste in Verzweiflung gebracht, sich so weit vergessen konnte, daß er, wennschon durch die Dunkelheit und einen Mauerwinkel geschützt, auf offener Gasse das Schauspiel eines vom Krampf Befallenen darbot? Das ist den Spielern sonst nicht eigen; sie

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