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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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überschlafen ihren Unglücksrausch und geben sich kaltblütig dem tückischen Zufall von neuem in die Hände. Aber Spieler pflegen skrupellos zu sein; setzen sie nicht Geld auf Karten, so setzen sie auf Seelen, und dabei kann es sich wohl ereignen, daß ihnen der Teufel eine gräßliche Schuldverschreibung vorhält, die sie mit ihrem Blut unterzeichnen müssen.
    Als Hickel am Nachmittag nach Hause gekommen war, trat ihm vor der Tür seiner Wohnung ein unbekannter Mann entgegen, übergab ihm ein versiegeltes Schreiben und verschwand wieder, ohne gesprochen zu haben. Der erfahrene Blick des Polizeileutnants konnte nicht im unklaren darüber bleiben, daß der Mensch falsches Haar und falschen Bart getragen hatte. Der Brief, den Hickel sogleich öffnete, war chiffriert; seine Entzifferung kostete, trotzdem der Schlüssel bekannt war, den Rest des Nachmittags. Der Inhalt des Schreibens bezog sich auf die mit dem Präsidenten gemeinschaftlich anzutretende Reise. Hickel las, las und las wieder. Er hatte schon beim ersten Male verstanden, aber er las, um nicht denken zu müssen.
    Punkt sieben Uhr erhob er sich vom Schreibtisch und ging zehn Minuten lang pfeifend im Zimmer auf und ab. Sodann öffnete er ein Glasschränkchen, nahm eine Flasche mit Whisky heraus, die er vom Grafen Stanhope geschenkterhalten hatte, füllte ein nettes silbernes Becherchen damit und trank es in einem Zuge leer. Hierauf griff er zur Bürste, reinigte den Rock, danach hing er den Säbel um und um halb acht verließ er mit dem Hund seine Wohnung. Er schien gutgelaunt, denn er pfiff und summte noch immer vor sich hin und knipste hier und da mit den Fingern. Doch unter dem Bogen des Herrieder Turmes blieb er auf einmal stehen und sah angelegentlich zur Erde nieder. Ein durchfahrender Handwagen stieß ihn an der Hüfte an, deshalb ging er ein paar Schritte weiter bis zum Schilderhause um die Ecke. Dort gewahrte ihn das heimkehrende Paar.
    Es würde einen ungenügenden Einblick in den Charakter des Polizeileutnants beweisen, wenn man annehmen wollte, daß diese Sinnesverdunklung länger gedauert habe, als gemeinhin eine vorübergehende Blutleere im Kopf dauert. Um acht Uhr saß er schon mit einigen Kollegen beim Fischessen in der »Goldenen Gabel« und um neun Uhr war er im Kasino; sollte diese genaue Stundenangabe etwas Verdrießliches haben, so sei hinzugefügt, daß er in der Zeit von neun bis vier Uhr überhaupt keinen Glockenschlag mehr, sondern nur noch das eintönige Knistern der Spielkarten vernahm. Er gewann. Auf dem Heimweg durch die grauende Frühe passierte dann das Auffällige, daß er vor dem Sterngasthof in der Mitte der Straße Halt machte, den Säbel an das Bein preßte und einen langen, saugenden Blick gegen dasselbe Fenster hinaufschickte, hinter dem er einst die schöne Fremde gesehen hatte.
    Am Morgen schlief er lange, und als der Bursche mit dem Rapport kam, hörte er kaumzu. Schildknecht war verpflichtet, jeden Morgen Bericht zu erstatten, wo er den Nachmittag oder Abend vorher mit Caspar gewesen. Fast jedesmal hieß es von nun ab: wir haben die Frau von Kannawurf abgeholt, oder: die Frau von Kannawurf ist uns begegnet und wir sind spazierengegangen, oder bei Regenwetter: wir sind im Imhoffschen Garten in der Laube gesessen. Dieses »Wir« hatte aber in Schildknechts Mund einen sehr bescheidenen Klang; er sprach von Caspar stets mit achtungsvoller Zurückhaltung. Da er die Wahrnehmung machte, daß sein Herr die Berichte über das regelmäßige Beisammensein der beiden mit Unruhe aufnahm, wußte er in seinen Ton etwas wie eine Versicherung von Harmlosigkeit zu legen, fügte zum Beispiel hinzu: »sie haben viel über das Wetter gesprochen,« oder: »sie haben sich über gebildete Sachen unterhalten.« Solche Einzelheiten erfand er, denn in Wirklichkeit hielt er sich jedesmal in einer taktvollen Entfernung hinter den beiden.
    Hickel begann dem jungen Menschen zu mißtrauen.
    Eines Abends erwischte er ihn, wie er in einem Winkel der Küche hockte, eine Kerze vor sich, und mit dem Zeigefinger buchstabierend über die Zeilen eines Buches glitt. Als er sich gestört fand, war er wie entgeistert, seine roten Backen hatten die Farbe verloren. Hickel nahm das Buch, und sein Gesicht wurde finster wie die Nacht, als er sah, daß es die Feuerbachsche Schrift war. »Woher hat Er das?« schrie er Schildknecht an. Der Bursche erwiderte, er habe es auf dem Bücherschrank des Herrn Leutnant gefunden. »Das ist eine widerrechtliche Aneignung, ich

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