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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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werde Ihn davonjagen und disziplinieren lassen, wenn soetwas nochmal vorkommt, merk’ Er sich das!« donnerte Hickel.
    Wahrscheinlich hätte die erstbeste Seeräubergeschichte die Neugier des Tölpels ebenso gereizt, sagte sich Hickel später und erklärte sein Aufbrausen für eine Unbesonnenheit. Gleichwohl witterte er Gefahr, der Bursche war nicht nach seinem Sinn, und er beschloß, sich seiner zu entledigen. Ein Anlaß ergab sich bald.
    Als Schildknecht tags darauf Caspar abholte, merkte er, daß dieser verstimmt war. Er suchte ihn aufzuheitern, indem er ein paar lustige Schnurren aus dem Kasernenleben vorbrachte. Caspar ging auf die Unterhaltung ein, er fragte den zutraulichen Menschen nach seiner Heimat, nach seinen Eltern, und Schildknecht bemühte sich, auch davon möglichst gutgelaunt zu erzählen, obschon es ein trauriges Kapitel für ihn war. Er hatte eine Stiefmutter gehabt, der Vater hatte ihn in früher Jugend unter fremde Leute gegeben, kaum war er von Hause fort, so hatte ein Liebhaber der Frau den Vater im Raufhandel erschlagen. Jetzt saß der Liebhaber samt der Frau im Zuchthaus, und die Brüder hatten das Vermögen durchgebracht.
    Schildknecht wagte zu fragen, weshalb Caspar heute seine Freundin nicht treffe.
    »Sie geht ins Theater,« antwortete Caspar.
    Warum denn er nicht gehe, fragte Schildknecht weiter.
    Er habe kein Geld.
    »Kein Geld? Wieviel braucht man denn dazu?«
    »Sechs Groschen.«
    »Soviel hab’ ich grad’ bei mir,« meinte Schildknecht, »ich leih’s Ihnen.«
    Caspar nahm das Anerbieten mit Vergnügen an. Es wurde nämlich der »Don Carlos« gegeben, auf den er sich schon lange gefreut hatte.
    Das Stück erregte mit Ausnahme des verrückten Frauenzimmers, das den Prinzen verführen will, sein Entzücken. Und wie ward ihm, als der Marquis zum König sprach:

Sie haben umsonst Den harten Kampf mit der Natur gerungen, Umsonst ein großes königliches Leben Zerstörenden Entwürfen hingeopfert. Der Mensch ist mehr, als Sie von ihm gehalten. Des langen Schlummers Bande wird er brechen Und wiederfordern sein geheiligt Recht.
    Er erhob sich von seinem Platz, starrte gierig, mit funkelnden Augen auf die Bühne und enthielt sich nur mit Mühe eines lauten Ausrufs. Zum Glück wurde die Störung in der herrschenden Dunkelheit nicht weiter beachtet; sein Nachbar, ein böser alter Kanzleirat, zerrte ihn grob auf den Sitz zurück.
    Das Ausbleiben über den Abend hatte zunächst ein Verhör durch den Lehrer zur Folge. Er gestand, im Schloßtheater gewesen zu sein. »Woher haben Sie Geld?« fragte Quandt. Caspar erwiderte, er habe das Billett geschenkt bekommen. »Von wem?« Gedankenlos, noch ganz gefangen von der Dichtung, nannte Caspar irgendeinen Namen. Quandt erkundigte sich am andern Tag, erfuhr selbstverständlich, daß ihn Caspar belogen hatte, und stellte ihn zur Rede. In die Enge getrieben, bekannte Caspar die Wahrheit, und Quandt machte dem Polizeileutnant Mitteilung.
    Um fünf Uhr nachmittags ertönte im Hof vor Caspars Fenster der wohlbekannte Pfiff, zweimelodische Triolen, mit denen sich Schildknecht zu melden pflegte. Caspar ging hinunter.
    »Es ist aus mit uns beiden,« sagte Schildknecht zu ihm, »der Polizeileutnant hat mich entlassen, weil ich Ihnen das Geld geliehen hab’. Ich muß jetzt wieder Kasernendienst tun.«
    Caspar nickte trübselig. »So geht mir’s eben,« murmelte er, »sie wollen’s nicht leiden, wenn einer zu mir hält.« Er reichte Schildknecht die Hand zum Abschied.
    »Hören Sie mal zu, Hauser,« sagte Schildknecht eifrig, »ich will jede Woche zwei- oder dreimal, überhaupt wenn ich frei bin, dahier in den Hof kommen und meinen Pfiff pfeifen. Vielleicht brauchen Sie mich mal. Warum nicht, kann ja möglich sein.«
    Es lag in den Worten eine über alle Maßen tiefe Herzlichkeit. Caspar richtete den aufmerksamen Blick in Schildknechts freundlich lächelndes Gesicht und erwiderte langsam und bedächtig: »Es kann möglich sein, das ist wahr.«
    »Topp! Abgemacht!« rief Schildknecht.
    Sie gingen durch den Flur nach der Straße. Vor dem Tor stand ein Amtsdiener, und da er Caspars ansichtig wurde, sagte er, er habe ihn gesucht, der Herr Staatsrat schicke ihn her, Caspar solle gleich hinkommen. Caspar fragte, was es gäbe. »Der Herr Staatsrat reist um sechs Uhr mit dem Herrn Polizeileutnant ab und will noch mit Ihnen sprechen,« antwortete der Mann.
    Caspar machte sich auf den Weg. Ein paar hundert Schritte vom Lehrerhaus entfernt konnte er nicht weiter. Ein

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