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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Himmel stand, leuchteten seine Augen in verwundertem Glück. Er ist wie einKind, das man nach langer Krankheit zum erstenmal in den Garten führt, sagte sich Frau von Kannawurf. Ihr gütiges Herz klopfte höher bei dem Gedanken, daß sie vielleicht nicht ohne Einfluß auf diese Stimmung war. Bisweilen wand sie junges Waldlaub um seinen Hut, und dann sah er stolz aus. Aber er war doch immer in sich gekehrt und immer so verhalten, als ringe er mit einem großen Entschluß.
    Eines Tages kamen sie überein, daß er sie einfach Clara und sie ihn Caspar nennen solle. Sie amüsierte sich über die geschäftsmäßige Gesetztheit, mit der er seinerseits diesen Vertrag einhielt. Er belustigte sie überhaupt oft, besonders wenn er ihr kleine Moralpredigten hielt oder etwas, was er frauenzimmerlich nannte, geärgert tadelte. Er ermahnte sie auch, nicht gar so viel herumzulaufen und ihre Gesundheit zu schonen. Nun sah es ja manchmal wirklich aus, als habe sie die Absicht, sich zu ermüden und zu erschöpfen. Eine ihrer Leidenschaften bestand darin, auf Türme zu steigen; auf dem Turm der Johanniskirche wohnte ein alter Glöckner, ein weiser Mann in seiner Art, durch lange Einsamkeit beschaulich und sanft geworden; sie scheute nicht die Anstrengung der vielen hundert Stufen und lief oft zweimal täglich zu dem Alten hinauf, plauderte mit ihm wie mit einem Freund oder lehnte über die eiserne Brüstung der schmalen Galerie und schaute über das Land in die Fernen. Der Glöckner hatte sie auch so ins Herz geschlossen, daß er zu gewissen Abendstunden nach der Richtung des Imhoffschlößchens verabredete Zeichen mit seiner Laterne gab.
    Jeden Tag machte sie neue Reisepläne, dennsie gefiel sich nicht in der kleinen Stadt. Caspar fragte, warum sie denn so fortdränge, aber darüber wußte sie im Grund keinen Aufschluß zu geben. »Ich darf nicht wurzeln,« sagte sie, »ich werde unglücklich, wenn ich zufrieden bin, ich muß immer auf Entdeckungsfahrten gehen, ich muß Menschen suchen.« Sie blickte Caspar zärtlich an, indes ihr kleiner Mund unaufhörlich zuckte.
    Einmal, und das war das einzige Mal überhaupt, daß davon gesprochen wurde, erwähnte sie der Feuerbachschen Schrift. Caspar griff nach ihrer Hand, die er mit sonderbarer Kraft so stark preßte, als wolle er damit das Wort zerquetschen, das er vernommen. Frau von Kannawurf stieß einen leisen Schrei aus.
    Es war schon Abend; sie gingen noch bis zu der Straßenkreuzung, an der sie sich gewöhnlich voneinander trennten. Da sagte Frau von Kannawurf rasch und eindringlich, indem sie sich nah zu ihm stellte und auf seine Stirn starrte: »Also wollen Sie es auf sich nehmen?«
    »Was?« entgegnete er mit sichtlichem Unbehagen.
    »Alles –?«
    »Ja, alles,« sagte er dumpf, »aber ich weiß nicht, ich bin ja ganz allein.«
    »Natürlich allein, aber etwas andres wünschen Sie doch gar nicht. Allein wie im Kerker, das ist es eben, nur nicht mehr drunten, sondern droben –« Sie konnte nicht weiterreden, er legte die eine Hand auf ihren Mund und die andre auf den seinen. Dabei glänzten seine Augen beinahe voll Haß. Plötzlich dachte er mit einer Art freudiger Bestürzung: ob meine Mutter so ähnlich ist wie diese da? Er hatte ein durstigesund brennendes Gefühl auf den Lippen, und es war zugleich etwas in ihm, wovor ihn widerte. »Ich geh’ jetzt heim,« stieß er mit wunderlichem Unwillen hervor und entfernte sich voll Eile.
    Frau von Kannawurf sah ihm nach, und als die Dunkelheit schon längst seine Gestalt verschlungen hatte, heftete sie noch die großen Kinderaugen in die Richtung seines Weges. Es war ihr furchtbar bang ums Herz. Er ist sicher der mutigste aller Menschen, dachte sie, er ahnt nicht einmal, wieviel Mut er besitzt; was bewegt mich doch so sehr, wenn ich mit ihm rede oder schweige? Warum ängstigt’s mich so, wenn ich ihn sich selbst überlassen weiß?
    Sie ging heimwärts und brauchte zu einem Weg von wenig mehr als tausend Schritten über eine halbe Stunde. Im Westen leuchteten Blitze wie feurige Adern.
    Caspar hatte sich frühzeitig zu Bett begeben. Es mochte ungefähr vier Uhr morgens sein, da wurde er durch einen lauten Ruf aufgeweckt. Es war auf der Straße außerhalb des Hofs, und die Stimme rief: »Quandt! Quandt!«
    Caspar, noch im Halbschlaf, glaubte die Stimme Hickels zu erkennen. Es wurde irgendwo ein Fenster geöffnet, der von der Straße sagte etwas, was Caspar nicht verstehen konnte, bald hernach ging eine Tür im Haus. Es blieb dann eine

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