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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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der Tote aufgebahrt war. Drei Söhne Feuerbachs saßen zu Häupten des Vaters, Henriette lag regungslos über die Leiche hingeworfen. Am Fenster standen der Hofrat Hofmann und der Archivdirektor Wurm. Sonst war niemand im Zimmer.
    Das Gesicht des Toten war gelb wie eine Zitrone. Um die Winkel des scharfen, verbissenen Mundes hatten sich große Muskelknoten gebildet. Das schiefergraue Kopfhaar glich einem kurzgeschorenen Tierfell. Es war nichts mehr von Größe in diesen Zügen, nur zähneknirschender Schmerz und eine unmenschliche, eisige Angst.
    Caspar hatte noch nie einen Toten gesehen. Sein Gesicht bekam einen qualvoll-wißbegierigen Ausdruck, die Augäpfel drehten sich in die Winkel, und mit allen zehn Fingern umkrampfte er Kinn und Mund. Sein ganzes Herz löste sich in Tränen auf.
    Henriette Feuerbach erhob den Kopf von der Bahre, und als sie den Jüngling sah, verzerrten sich ihre Züge gräßlich. »Deinetwegen hat er sterben müssen!« schrie sie mit einer Stimme, vor der alle erbebten.
    Caspar öffnete die Lippen. Weit nach vorn gebeugt, starrte er das halbwahnsinnige Weib an. Zweimal klopfte er sich mit der Hand gegen die Brust – er schien zu lachen –, plötzlich gab er einen dumpfen Laut von sich und stürzte ohnmächtig zu Boden.
    Alle waren erstarrt. Die Söhne des Präsidenten waren aufgestanden und schauten bekümmert auf den am Boden liegenden Jüngling. Direktor Wurm eilte, als er sich gefaßt hatte, zur Tür, wahrscheinlich um einen Arzt zu rufen. Der besonnene Hofrat hielt ihn zurück und meinte, man solle kein unnötiges Aufsehen machen. Frau von Imhoff kniete neben Caspar und befeuchtete seine Schläfe mit ihrem Riechwasser. Er kam langsam zu sich, doch dauerte es eine Viertelstunde, bis er sich erheben und gehen konnte. Frau von Imhoffbegleitete ihn hinaus. Damit sie sich nicht durch die Menge der Besucher im Korridor zu drängen brauchten, führte sie ihn über eine Hintertreppe in den Garten und anerbot sich, ihn nach Haus zu bringen. »Nein,« sagte er unnatürlich leise, »ich will allein gehen.« Er steckte seine Nase in die Luft und schnüffelte unbewußt. Sein Puls ging so schnell, daß die Adern am Hals förmlich flogen.
    Er entwand sich dem liebreichen Zuspruch der jungen Frau und ging mit trägen Schritten gegen die Hauptallee des Gartens. Vor dem Portal stieß er auf den Polizeileutnant. »Nun, Hauser!« redete ihn Hickel an.
    Caspar blieb stehen.
    »Zur Trauer haben Sie gegründeten Anlaß,« sagte Hickel mit unheilvoller Betonung, »denn wer wird eines Feuerbach gewichtiges Fürwort ersetzen?«
    Caspar antwortete nichts und schaute gleichsam durch den Polizeileutnant hindurch, als ob er aus Glas wäre.
    »Guten Abend,« ertönte da eine glockenhelle Stimme, die Caspar wundersam berührte. Frau von Kannawurf trat an seine Seite. Hickels Gesicht wurde um eine Schattierung bleicher. »Gnädigste Frau,« sagte er mit einer Galanterie, die sich krampfhaft ausnahm, »darf ich die Gelegenheit benutzen, Ihnen meine ungemessene Verehrung zu Füßen zu legen?«
    Frau von Kannawurf trat unwillkürlich einen Schritt zurück und sah erschrocken aus.
    Der Polizeileutnant hatte die Miene eines Menschen, der sich in ein tiefes Wasser stürzt. Er beugte sich nieder, und ehe Frau von Kannawurf es hindern konnte, packte er ihre Hand unddrückte einen Kuß darauf, und zwar mit den nackten Zähnen; als er sich aufrichtete, waren seine Lippen noch getrennt. Ohne eine Silbe weiter zu sprechen, eilte er davon.
    Mit weiten Augen blickte ihm Frau von Kannawurf nach. »Grauenhaft ist mir der Mensch,« flüsterte sie. Caspar blieb völlig teilnahmlos. Frau von Kannawurf begleitete ihn schweigend nach Hause.
    Als er in seinem Zimmer war, bekamen seine Augen einen geisterhaften Glanz und flammten in der Dämmerung wie zwei Glühwürmer. Er stellte sich in die Mitte des Raumes, und vom Kopf bis zu den Füßen zitternd, sagte er in beschwörendem Ton folgendes:
    »Kenn’ ich dich, so nenn’ ich dich. Bist du die Mutter, so höre mich. Ich geh’ zu dir. Ich muß zu dir. Einen Boten schick’ ich dir. Bist du die Mutter, so frag’ ich dich: warum das lange Warten? Keine Furcht hab’ ich mehr, und die Not ist groß. Caspar Hauser heißen sie mich, aber du nennst mich anders. Zu dir muß ich gehn ins Schloß. Der Bote ist treu, Gott wird ihn führen und die Sonne ihm leuchten. Sprich zu ihm, gib mir Kunde durch ihn.«
    Plötzlich ergriff ihn eine sonderbare Ruhe. Er setzte sich an den Tisch, nahm einen

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