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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Bogen Papier und schrieb, ohne daß ihn die Dunkelheit hinderte, dieselben Worte nieder. Darauf faltete er den Bogen zusammen, und da er kein Wachs besaß, zündete er die Kerze an, ließ das Unschlitt aufs Papier träufeln und drückte das Siegel darauf, das ein Pferd vorstellte mit der Legende: Stolz, doch sanft.
    Es verging eine halbe Stunde; er saß regungslosda und lächelte mit geschlossenen Augen. Bisweilen schien es, als bete er, denn seine Lippen bewegten sich suchend. Er dachte an Schildknecht. Er wünschte ihn herbei mit aller Kraft seiner Seele.
    Und als ob diesem Wünschen die Macht innegewohnt hätte, Wirklichkeit zu erzeugen, schallte auf einmal vom Hof herauf der wohllautende Triolenpfiff. Caspar ging zum Fenster und öffnete; es war Schildknecht. »Ich komm’ hinunter,« rief ihm Caspar zu.
    Unten angelangt, packte er Schildknecht beim Rockärmel und zog ihn durch das Pförtchen auf die einsame Gasse. Dort forderte er ihn stumm auf, ihm weiter zu folgen. Bisweilen hielt er zögernd inne und spähte umher. Sie kamen beim Häuschen des Zolleinnehmers vorüber und auf einen Wiesenplan. Auf dem Rain stand ein Bauernwagen. Caspar setzte sich auf die Deichsel und zog Schildknecht neben sich. Er näherte seinen Mund dem Ohr des Soldaten und sagte: »Jetzt brauch’ ich Sie.«
    Schildknecht nickte.
    »Es geht um alles,« fuhr Caspar fort.
    Schildknecht nickte.
    »Da ist ein Brief,« sagte Caspar, »den soll meine Mutter bekommen.«
    Schildknecht nickte wieder, diesmal voll Andacht. »Weiß schon,« antwortete er, »die Fürstin Stephanie –«
    »Woher wissen Sie’s?« hauchte Caspar betroffen.
    »Hab’s gelesen. Hab’s in dem Buch vom Staatsrat gelesen.«
    »Und weißt auch, wo du hingehen mußt, Schildknecht?«
    »Weiß es. Ist ja unser Land.«
    »Und willst ihr den Brief geben?«
    »Will es.«
    »Und schwörst bei deiner Seligkeit, daß du ihr selber den Brief gibst? Aufs Schloß gehst? In die Kirche, wenn sie dort ist? Ihren Wagen aufhältst, wenn sie auf der Straße fährt?«
    »Ist kein Schwören nötig. Ich tu’s, und wenn’s Knollen regnet.«
    »Wenn ich’s tun wollte, Schildknecht, ich käm’ nicht bis ins nächste Dorf. Sie würden mich abfangen und einsperren.«
    »Weiß es.«
    »Wie willst du’s anstellen?«
    »Bauernkleider anziehen, bei Tag im Wald schlafen, bei Nacht laufen.«
    »Und wo den Brief verstecken?«
    »Unter der Sohle, im Strumpf.«
    »Und wann kannst du fort?«
    »Wann’s beliebt. Morgen, heute, gleich, wenn’s beliebt. Ist zwar Fahnenflucht, macht aber nichts.«
    »Wenn’s gelingt, macht es nichts. Hast du Geld?«
    »Nicht einen Taler. Macht aber nichts.«
    »Nein. Geld ist nötig. Brauchst viel Geld. Geh mit mir, ich hole Geld.«
    Caspar sprang empor und schritt in der Richtung des Imhoffschlößchens voran. Am Tor gebot Caspar dem Soldaten zu warten. Er ging hinein und sagte zum Pförtner, er müsse Frau von Kannawurf sprechen. Es war etwas in seinem Aussehen, was dem alten Hausmeister Beine machte. Frau von Kannawurf kam ihm alsbald entgegen. Sie führte ihn über eine Stiegein einen kleinen Saal, der nicht erleuchtet war. Ein wandhoher Spiegel glitzerte im Mondschein. Der Pförtner machte Licht und entfernte sich zögernd.
    »Fragen Sie mich nichts,« sagte Caspar mit fliegendem Atem zu der Freundin, die keines Wortes mächtig war, »ich brauche zehn Dukaten. Geben Sie mir zehn Dukaten.«
    Sie blickte ihn ängstlich an. »Warten Sie,« antwortete sie leise und ging hinaus.
    Es dünkte Caspar eine Ewigkeit, bis sie wiederkam. Er stand am Fenster und strich beständig mit der einen Hand über seine Wange. Still, wie sie gegangen, kehrte Frau von Kannawurf zurück und reichte ihm eine kleine Rolle. Er nahm ihre Hand und stammelte etwas. Ihr Gesicht zuckte über und über, ihre Augen schwammen wie im Nebel. Verstand sie ihn? Sie mußte wohl ahnen; doch sie fragte nicht. Ein trübes Lächeln irrte um ihre Lippen, als sie Caspar hinausbegleitete. Sie war ergreifend schön in diesem Augenblick.
    Schildknecht lehnte am Mauerpfeiler des Tors und guckte ernsthaft in den Mond. Sie gingen zusammen stadtwärts; nach ein paar hundert Schritten blieb Caspar stehen und gab Schildknecht den Brief und die Geldrolle. Schildknecht sagte keine Silbe. Er blies ein wenig die Backen auf und sah harmlos aus.
    Vor dem Kronacher Buck meinte Schildknecht, es sei besser, wenn man sie nicht mehr beieinander sähe. Ein Händedruck, und sie schieden. Dann drehte sich Schildknecht noch einmal um

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