Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
den Weg zu benutzen und ohne sich noch einmal umzusehen. Wohin will er gehen? Zurück in die Canyons?
Jetzt geht ein Murmeln durch die Menge, und Xander tritt vor. In dem Moment erkenne ich, dass die Leute all ihre Gnade Hunter geschenkt haben, mit dem sie im Laufe der letzten Monate zusammengelebt und -gearbeitet haben. Dessen Geschichte sie kannten.
Xander dagegen kennen sie nicht.
Ganz allein steht er vor dem Dorfstein.
Xander würde alles für die Menschen tun, die er liebt, koste es, was es wolle. Doch als ich ihn nun betrachte, weiß ich, dass der Preis zu hoch war. Er sieht aus wie Hunter , geht es mir durch den Kopf. Wie ein Mann, der zu weit getrieben wurde und zu viel gesehen hat. Hunter hat sich lange genug zusammengenommen, um Eli sicher in die Berge zu begleiten. Lange Zeit tat er, was er tun musste, um anderen zu helfen, dann brach er zusammen.
Ich darf nicht zulassen, dass auch Xander das passiert!
Kapitel 50
Xander
»Wer will für Xander Partei ergreifen?«, fragt Colin.
Niemand antwortet.
Anna schaut zu mir herüber, und ich sehe ihr an, wie leid es ihr tut, aber ich verstehe, dass sie sich für Hunter einsetzen musste. Er ist wie ein Sohn für sie, da ist es nur recht und billig, dass sie ihm ihre Stimme gibt.
Natürlich ist auch kein anderer da. Cassia muss bei Ky in der Krankenstation bleiben, um ihm das Heilmittel zu verabreichen und dafür zu sorgen, dass er aufwacht. Ky würde sich auf meine Seite stellen, aber er ist versunken.
Die Leute scharren mit den Füßen und schauen zu Colin hinüber. Sie sind ungeduldig, weil er so lange abwartet. Auch ich wünschte, der Moment würde rasch vorübergehen. Ich schließe die Augen und lausche meinem Herzschlag, meinem Atem und dem Wind hoch oben in den Bäumen.
Da ruft eine vertraute Stimme: »Ich will für Xander eintreten!« Ich öffne die Augen und sehe, wie sich Cassia einen Weg durch die Menge bahnt. Sie ist also doch gekommen. Sie strahlt über das ganze Gesicht. Das Heilmittel scheint zu wirken.
Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Ich sollte froh sein, dass Cassia hier ist und das Heilmittel wirkt. Aber ich kann nur an die Patienten in den Provinzen denken, an Lei und wie sie versank, und die Sorge liegt mir auf dem Herzen, dass es für sie alle zu spät sein könnte. Wird es uns gelingen, genügend Menschen zurückzuholen? Wird das Heilmittel auch bei anderen wirken? Woher sollen wir genügend Zwiebeln nehmen? Wer soll entscheiden, welche Patienten das Heilmittel zuerst erhalten? So viele Fragen, und ich bin mir nicht sicher, ob wir schnell genug die Antworten darauf finden.
Noch nie im Leben war ich derartig erschöpft.
Kapitel 51
Cassia
Die Leute holen ihre Steine aus den Trögen, in die sie sie bei der Entscheidung um Hunter hineingeworfen haben. Die Steine sind noch nass, und Wassertropfen fallen auf die Kleidung ihrer Besitzer, wo sie kleine, dunkle Flecken hinterlassen. Einige Leute rollen die Steine zwischen den Händen, während sie warten.
»Dieser Trog«, sagt Colin und zeigt auf den neben sich, »ist für die Höchststrafe. Der andere«, und dabei zeigt er auf das Gefäß näher bei Xander, »ist für das geringere Strafmaß.«
Er erklärt nicht genauer, worin die Strafen bestehen. Wissen es alle anderen bereits? Anna hat vermutet, dass die Höchststrafe für Xander die Verbannung sein könnte, weil sein Verbrechen nicht so schwer wie Hunters wiegt. Durch seine Hand ist niemand gestorben.
Doch für Xander wäre die Verbannung gleichbedeutend mit dem Tod. Er wüsste nicht, wo er hingehen sollte. Hier draußen kann er nicht allein überleben, und es ist ein weiter, harter Weg bis nach Camas. Vielleicht könnte er Hunter suchen und sich ihm anschließen.
Aber was dann?
Ich blicke zu Xander auf. Sonnenstrahlen fallen durch das Laub der Bäume und lassen sein Haar golden glänzen. Ich brauchte mich nie zu fragen, welche Farbe seine Augen haben, so wie bei Ky – ich habe immer gewusst, dass Xanders Augen blau sind und nichts als Freundlichkeit und Klarheit ausdrücken. Sie haben sich nicht verändert, aber Xander ist ein anderer geworden.
»Ich fühle mich meistens alleine, neuerdings sogar manchmal in deiner Gegenwart« , hat er im Gefängnis gesagt. »Ich hätte nicht gedacht, dass es einmal so weit kommen würde.«
Bist du jetzt einsam, Xander?
Ich brauche gar nicht zu fragen.
In den Bäumen zwitschern Vögel, in der Menge ertönt Gemurmel, der Wind bringt das Gras zum Rascheln, doch alles, was ich spüre, ist
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