Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
nicht nötig!«
»Dem Algorithmus lag eine gewisse Hilfsbereitschaft der Bevölkerung zugrunde«, erwidert der Steuermann. »Keiner hat damit gerechnet, dass die Leute die Versunkenen derart im Stich lassen würden. Als Anreiz hat die Erhebung die Lager mit den Gewebeproben freigegeben. Jeder, der sich damit einverstanden erklärt, dass Angehörige abgekoppelt werden, um Platz einzusparen, erhält Gewebeproben.«
»Aber darauf lässt sich doch niemand ein, oder?«, fragt Cassia.
»Manche schon«, sagt der Steuermann.
»Aber die glauben doch nicht etwa, dass Tote wieder zum Leben erweckt werden können!«, entgegnet Cassia. »Niemand besitzt die dafür nötige Technologie! Weder die Gesellschaft noch die Erhebung.«
»Die Röhrchen haben nie dem Zweck gedient, Menschen zu klonen«, sagt der Steuermann. »Sie waren seit jeher nur dazu da, die Lebenden zu manipulieren. Und jetzt frage ich noch einmal: Habt ihr ein Heilmittel? «
»Wir brauchen Zeit«, sagt Leyna. »Nur ein bisschen.«
»Aber wir haben keine Zeit!«, erwidert der Steuermann. »Die Nahrungsmittel gehen uns aus. Die Leute flüchten aus den Städten in die Vororte, wo sie diejenigen überfallen, die noch übriggeblieben sind, oder sie fliehen aufs Land, wo sie an der Virusinfektion sterben, weil es keine Behandlung gibt. Wir haben fast keine Zutaten mehr, um die Infusion nach Okers Rezeptur anzumischen, und keiner der Forscher in den Provinzen hat ein Heilmittel gefunden.«
»Aber es gibt eines«, sagt Cassia. »Xander kann Ihre Pharmazeuten anleiten, es herzustellen.« Sie hält dem Steuermann eine Ampulle hin. Sie spielt alle ihre Trümpfe auf einmal aus.
Im ersten Augenblick befürchte ich, dass Leyna und Colin sie aufhalten wollen, aber keiner von ihnen sagt ein Wort. Alle warten darauf, was Cassia als Nächstes tut.
»An wie vielen Patienten habt ihr es getestet?«, fragt der Steuermann und nimmt das Heilmittel von Cassia an.
»An nur einem«, antwortet Cassia. »Ky. Aber wir können mehr davon herstellen.«
Der Steuermann lacht sie aus. »An nur einer Person!«, höhnt er. »Und woher soll ich wissen, dass Ky wirklich geheilt ist? Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er nicht einmal versunken.«
»Er war aber schon krank«, erwidert Cassia. »Das haben Sie selbst gesehen, und alle hier können bezeugen, dass er versunken war.«
»Natürlich werden sie das beschwören«, sagt der Steuermann. »Schließlich wollen sie nach Anderland. Sie werden alles sagen, was du von ihnen verlangst.«
»Wenn das Ihr letzter Besuch im Dorf ist«, sagt Cassia, »dann sehen Sie sich wenigstens an, was wir erreicht haben. Es dauert nicht lange.«
Leyna nähert sich lächelnd, als hätte sie all das schon vorher gewusst. Aber als sie so dicht bei Cassia steht, dass der Steuermann sie nicht hören kann, zischt sie ihr ins Ohr: »Wer? Wer hat dir geholfen?«
Cassia beantwortet ihre Frage nicht. Sie schützt alle, die sie bei der Herstellung des Heilmittels unterstützt haben: mich, die Wachen, Anna, Noah und Tess. »Das Heilmittel beruht auf einer der Basislösungen Okers«, sagt sie laut. Sie sieht dabei den Steuermann an, spricht aber zu allen und versucht, sie auf ihre Seite zu bringen. »Ergänzt mit dem Inhaltsstoff, den er zuletzt gesucht hat. Das ist Okers wahres Heilmittel und es wirkt.« Sie macht sich auf den Weg hinunter zur Krankenstation. »Es wäre doch eine Schande«, ruft sie über die Schulter hinweg dem Steuermann zu, »wenn Sie den ganzen Weg hierher auf sich genommen hätten und dann mit leeren Händen zurückkehren würden!«
Der Steuermann folgt ihr quer über den Dorfplatz und wir anderen ebenfalls. Cassia stößt die Tür zur Krankenstation auf, als sei sie überzeugt, dass drinnen alles in bester Ordnung ist. Doch ich sehe, wie ihre Lippen zittern, als Ky mit klaren und wachen Augen zu ihr aufblickt. Sie wusste nicht, dass das Heilmittel tatsächlich wirkt, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Für einen Moment scheint außer den beiden niemand zu existieren, sie sind ganz allein auf der Welt. »Ky!«, sagt sie.
»Können wir jetzt von hier weggehen?«, fragt er sie, seine Stimme ein leises Flüstern. Wir alle, einschließlich Leyna und Colin, beugen uns zu ihm hinunter, um ihn zu hören, auch wenn seine Worte nicht für uns bestimmt sind.
»Nein«, sagt Cassia, »noch nicht.«
»Ich weiß«, sagt er und verzieht die Lippen zu einem leichten Lächeln. Sie beugt sich hinunter, um ihn zu küssen, und mit zitternder Hand
Weitere Kostenlose Bücher