Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
der Nacht damals in Oria, als ich den Leuten für die blauen Tabletten Blut abgenommen habe. Ich habe illegal Blut abgenommen und den Menschen eine Hoffnung vorgespiegelt, die es nie gab. Ich handelte genauso, wie die Gesellschaft und die Erhebung es getan hätten – ich habe die Ängste der Menschen ausgenutzt, damit ich das bekam, was ich wollte.
Wiederhole ich diese Tat, wenn ich das Heilmittel herstelle? Ich sehe Cassia an. Sie vertraut mir. Doch das sollte sie nicht tun. Ich habe den Jungen in den Canyons getötet. Zwar nicht absichtlich, aber wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er die blauen Tabletten nie erhalten.
Ich habe diesen Gedanken noch nie zu Ende gedacht, obwohl ich es wusste, seitdem der Steuermann im Luftschiff davon gesprochen hat. Mein Mund wird vor Angst knochentrocken, und ich schmecke Galle. Zum ersten Mal würde ich am liebsten vor der Aufgabe weglaufen, die man mir anvertraut hat. Ich kann kein Heilmittel herstellen: Zu oft habe ich die falsche Entscheidung getroffen.
»Du weißt, dass ich nicht für die Wirkung garantieren kann«, gebe ich Cassia zu bedenken. »Ich bin kein Pharmazeut. Vielleicht verwende ich nicht die richtige Menge, oder in der Basismischung befindet sich ein Reagenz, von dem ich nichts weiß …«
»Es könnte auf tausend Arten schiefgehen«, stimmt sie zu. »Vielleicht habe ich gar nicht die richtige Zutat gefunden. Aber ich glaube daran, dass es die richtige ist. Und ich weiß, dass du das Heilmittel herstellen kannst.«
»Warum?«, frage ich.
»Weil du dich immer für die Menschen einsetzt, die dich brauchen«, antwortet sie traurig, als wüsste sie, welchen Preis ich hierfür bezahlen muss, und als bräche es ihr das Herz, mich trotzdem darum bitten zu müssen.
»Bitte!«, sagt sie. »Nur noch dieses eine Mal.«
Kapitel 47
Cassia
In der Krankenstation lenkt Anna die Medics ab, während ich Ky das Heilmittel in den Infusionsschlauch spritze. Xander hat mir erklärt, wie ich es machen muss. Vorher wäre ich vielleicht zu ängstlich gewesen, aber nachdem ich zugesehen habe, wie Xander ein Heilmittel im Gefängnis angemischt hat und Ky sich keuchend durch das Dunkel des Versunkenseins kämpft, bleibt kein Raum für meine eigenen Ängste.
Ich stecke die Schutzhülle wieder auf die Nadel und verberge die Spritze und die leere Ampulle in meinem Ärmel, mit den Gedichten, die ich immer bei mir trage. Dann setze ich mich zu Ky und nehme den Datenpod zur Hand. Ich gebe vor, weiterhin zu sortieren, dabei beobachte ich die ganze Zeit Ky und warte auf eine Reaktion. Er geht das größte Risiko von allen ein, durch seine Adern fließt das Heilmittel. Doch wir alle haben sehr viel zu verlieren.
Manchmal habe ich uns drei als getrennte, separate Wesen betrachtet, und natürlich sind wir das auch, jeder ein Individuum. Doch Ky, Xander und ich müssen aneinander glauben, um einander zu schützen. Xander musste ich die Herstellung eines Heilmittels für Ky anvertrauen, Ky musste darauf vertrauen, dass wir ihn zurückholen, und Xander musste meiner Datenanalyse vertrauen – so geht es im Kreis herum, wieder und immer wieder, für immer verbunden im Zyklus des Lebens und der Einlösung unserer Versprechen.
Kapitel 48
Ky
nicht mehr im wasser
warum nicht
wo ist indie
winzige lichter flackern in der dunkelheit
ich höre cassias stimme
sie hat in den sternen auf mich gewartet
Kapitel 49
Cassia
»Ky!«, sage ich. Ich habe schon mehrmals ein Flackern auf seinem Gesicht gesehen, aber diesmal hält die Veränderung an, und er wirkt immer lebendiger. Er kehrt zu uns zurück!
Dich hab ich nicht erreicht –
Doch nähert Tag für Tag
Sich Dir mein Fuß.
Drei Flüsse noch und einen Berg
Ich überqueren muss.
Noch eine Wüste, noch ein Meer,
Die Reise aber zähl ich nicht,
Wenn ich dann vor Dir steh.
Ky und ich haben die Reise in unserer eigenen Reihenfolge zurückgelegt. Mit dem Hügel haben wir begonnen, gemeinsam. Eine Wüste haben wir durchquert, um zu den Canyons zu gelangen, und dann Flüsse und Bäche in den Bergen überwunden, um anschließend wieder daraus herauszufinden. Ein Meer, ein Ozean ist uns erspart geblieben, aber dennoch war es eine unendliche Weite, die wir ohne den anderen bereisen mussten. Das zählt genauso, glaube ich.
Und noch etwas anderes geht mir durch den Kopf, als ich ihn ansehe. Das Gedicht trifft nicht ganz auf uns zu. Denn er wird diese Reise zählen, und ich auch.
Anna kommt herein und übergibt mir mehrere zusätzliche Ampullen
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg