Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
wollten ihr damit auf die Sprünge helfen.«
Eine ganze Weile lang sagt niemand mehr etwas. Wenn so etwas geschieht – wenn eine Art zu helfen nur Schaden zufügt, wenn eine Salbe Schmerzen statt Heilung verursacht –, wird deutlich, wie selbst gutgemeinte Entscheidungen Schlimmes anrichten können.
»Aber warum hat die Gesellschaft die Erhebung nicht von vornherein zerschlagen, wenn sie von eurer Existenz wusste?«, fragt Xander und bricht damit das Schweigen. »Die Gesellschaft hätte alle Kranken mit ihren eigenen Mitteln heilen können – Oker hat mir erzählt, dass sie von Anfang an ein Heilmittel besaß. Warum hat die Gesellschaft nicht genug davon hergestellt, so dass sie die Ausbreitung der Seuche fördern und dann alle Kranken heilen konnte?«
»Die Gesellschaft hatte nicht die Absicht, die Erhebung zu zerschlagen«, bemerkt Ky, »weil sie mit ihr gemeinsame Sache machen wollte.«
Sobald er es ausspricht, weiß ich, dass er recht hat. Deswegen ist die Machtübernahme so glatt und unter so wenig Gewaltanwendung verlaufen.
»Wenn sie mit der Erhebung gemeinsame Sache machen wollte«, wende ich ein, »hätte sie doch auch das Ergebnis vorhersagen können.«
Das vorausberechnete Endergebnis. So hatte es meine Funktionärin damals zu Hause in Oria ausgedrückt. Das glaubte sie in meinem Fall bereits zu kennen, und die Gesellschaft bezog es stets in ihre Berechnungen ein.
»Die Gesellschaft hat herausgefunden, dass wir einige Leute gegen die Wirkung der roten Tablette resistent gemacht hatten«, sagt der Steuermann.
»Mehr und mehr Leute konnten nicht mehr auf Kommando vergessen«, füge ich hinzu, und jetzt wird mir einiges klar. »Die Bevölkerung zeigte Anzeichen für den Wunsch nach Veränderung, einer Rebellion. Sie sollten eine bekommen, und die Gesellschaft blieb an der Macht, ohne dass das Volk – einschließlich vieler Rebellen – wusste, was wirklich geschehen war. Sie würden ein paar Veränderungen einführen, aber zum größten Teil würde alles so weiterlaufen wie gehabt.« Die Gesellschaft muss gewusst haben, dass die Bevölkerung irgendwann aufsässig werden würde. Sie könnte es sogar vorausberechnet haben. Und warum sollte man keine Rebellion zulassen, wenn man das Ergebnis kennt und seine Macht anschließend einfach unter einem anderen Namen weiterhin ausüben kann? Warum hätte sie sich nicht die Erhebung, eine ursprünglich authentische Rebellenbewegung, zunutze machen sollen, um die Veränderungen plausibel erscheinen zu lassen? Sie wusste, dass die Leute an den Steuermann glaubten, und nutzte das aus.
Doch es ist nicht so gekommen, wie es die Gesellschaft geplant hat. Das Seuchenvirus mutiert, und die Leute wissen mehr und wollen mehr, als die Gesellschaft angenommen hatte, sogar diejenigen, die nicht resistent gegen die Wirkung der roten Tablette sind. Leute wie ich.
Die Gesellschaft ist tot, auch wenn sie es noch nicht weiß.
Ich glaube an einen Neuanfang, genau wie so viele andere da draußen – die, die auf Papierfetzen schreiben, die sie dann in der Galerie ausstellen, die, die weiterhin hart in der Krankenpflege arbeiten, die, die zu glauben wagen, dass wir uns alle gemeinsam auf den Weg in eine neue, bessere Zukunft begeben können.
Wir schreiten leicht, wie Schnee wir stehen,
Die Wasser murmeln leis.
Flüsse, Wüsten, Berg und Meer
Sind von uns durchlaufen.
Ich schaue Ky an und schreibe in Gedanken das Ende des Gedichtes neu.
Doch all die Wege zählen kaum,
Zum Schluss ich zu Dir find.
Die Tür zum Frachtraum wird geöffnet, und Xander kommt zu uns. Hinter ihm fällt das Licht aus dem Cockpit durch die Öffnung. »Ich dachte, ich sollte mir Ky einmal ansehen«, sagt er. Ich lächle Xander an, und er erwidert mein Lächeln, und einen Moment lang ist alles wie immer, genauso wie früher. Xander sieht mich mit schmerzlicher Sehnsucht an, und wir fliegen wild durch ein Leben, das jedem gehören könnte, und ich weiß, warum Ky Indies Kuss erwidert hat.
Doch dann ist es vorüber, und ich weiß mit großer Sicherheit, dass es zu spät für uns ist, für Xander und mich, in dieser Hinsicht. Nicht, weil ich ihn nicht mehr liebte, sondern, weil ich ihn nicht länger erreichen kann.
»Danke«, sage ich zu Xander, und es bedeutet dasselbe wie Ich liebe dich , mehr, als ich ihm jemals gestanden habe. Mich durchdringt eine dröhnende, tiefe, sehnsuchtsvolle Welle des Bedauerns. Denn letztendlich habe ich ihn nicht im Stich gelassen, weil ich nicht auch ihn liebte,
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