Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
Nachricht.
»Ich weiß«, sagt meine Mutter und lächelt unter Tränen. »Er hat mir auf Wiedersehen gesagt.«
»Wie?«, fragt Bram.
»Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Aber er hat es getan. Während ich versunken war, habe ich ihn gesehen. Er war da, und dann ist er fortgegangen.«
»Ich habe gesehen, dass er tot ist, aber nicht so wie du«, sagt Bram. »Ich habe seine Leiche gefunden.«
»O nein, Bram!«, flüstert meine Mutter gequält. »Nein, nein!«, wiederholt sie und drückt meinen Bruder eng an sich. »Es tut mir leid, es tut mir so schrecklich leid!«
Meine Mutter hält Bram ganz fest. Ich atme heiser ein, wie man es tut, wenn der Schmerz so groß ist, dass man nicht weinen kann; wenn man keine Tränen vergießt, weil man nur aus Schmerz besteht, und, wenn man ihn herausließe, aufhören würde zu existieren. Ich möchte etwas tun, um den Schmerz zu lindern, auch wenn ich weiß, dass ich nichts an der Tatsache ändern kann, dass mein Vater tot und begraben ist.
Meine Mutter sieht mich flehentlich an. »Könntest du mir bitte irgendeine Pflanze holen? Irgendetwas, das wächst?«
»Natürlich«, sage ich.
Ich kenne mich nicht so gut mit Pflanzen aus wie meine Mutter, daher bin ich mir nicht sicher, was ich im kleinen Park des medizinischen Zentrums ausgrabe, ob es Unkraut ist oder eine Blume. Aber ich glaube, sie wird sich so oder so darüber freuen – sie möchte, ja, braucht unbedingt etwas, um die Sterilität ihres Raumes und die Leere eines Lebens ohne meinen Vater zu lindern.
Ich falte den Alu-Essensbehälter zu einer Art Schale, schöpfe Erde hinein und grabe die Pflanze vorsichtig aus.
Die Wurzeln hängen herunter, manche dick, andere so dünn, dass der Wind durch sie hindurchfährt wie durch Laub. Als ich aufstehe, sind meine Knie schmutzig und meine Hände voll dunkler Erde. Ich bringe meiner Mutter eine Pflanze, weil es keine Möglichkeit gibt, ihr meinen Vater wiederzubringen. Ich kann verstehen, warum viele Leute die Reagenzgläser mit den Gewebeproben haben wollten – ich bin, wie sie, verzweifelt auf der Suche nach etwas, woran ich mich klammern kann.
Als ich so dastehe, kommt auf einmal das fehlende Mittelstück der Erinnerung an den roten Gartentag aus dem Nebel meines Gedächtnis.
Meine Mutter, mein Vater, Großvater, seine Gewebeprobe, Pappelsamen, wilde Blumen, Papierblumen, pralle Knospen, die grüne Tablette, der rote Gartentag, Kys blaue Augen – plötzlich bringt Großvaters Eselsbrücke mit dem »roten Gartentag« mich wieder auf den richtigen Weg, und ich folge ihm an Blättern und Zweigen entlang bis hinunter zu den Wurzeln.
Mir stockt der Atem, und ich weiß wieder …
Alles.
Die Hände meiner Mutter sind voller schwarzer Erde, aber ich kann die weißen Linien ihrer Handflächen erkennen, als sie die Setzlinge herauszieht. Wir stehen im Gewächshaus des Arboretums; das Glasdach über uns und die schwülheiße Atmosphäre im Inneren lassen uns die frühlingshafte Morgenkühle draußen vergessen.
»Bram hat es rechtzeitig in die Schule geschafft«, erzähle ich.
Sie sagt: »Danke, dass du mir Bescheid gibst«, und lächelt mich an. An den wenigen Tagen, an denen sie und Papa früh zur Arbeit müssen, bin ich dafür verantwortlich, dass mein jüngerer Bruder pünktlich den frühen Airtrain zur Schule erwischt. »Wo gehst du denn jetzt hin? Du hast ja noch ein bisschen Zeit, bevor du zur Arbeit musst.«
»Vielleicht schaue ich mal bei Großvater vorbei«, sage ich. Heute ist es ausnahmsweise erlaubt, vom üblichen Weg abzuweichen, weil Großvaters Letztes Bankett kurz bevorsteht. Und ich warte auf meinen Paarungsball. Wir haben so viel zu bereden!
»Tu das«, sagt sie. Sie pflanzt Setzlinge aus den Röhrchen, in denen sie gekeimt haben und die in ordentlichen Reihen auf Tabletts stehen, in ihre neuen Behausungen um, kleine Töpfe mit Erde. Sie hebt einen Setzling heraus.
»Der hat aber noch nicht viele Wurzeln«, bemerke ich.
»Noch nicht«, erwidert sie. »Aber die kommen schon noch.«
Ich hauche ihr einen Kuss auf die Wange und mache mich auf den Weg. Es wird nicht gern gesehen, dass ich mich länger an ihrer Arbeitsstelle aufhalte, und ich muss meinen Airtrain erwischen. Dass ich mit Bram zusammen früh aufgestanden bin, hat mir etwas Zeit verschafft, aber nicht viel.
Der launische Frühlingswind schiebt mich hierhin, zieht mich dorthin. Er wirbelt einige der übriggebliebenen Herbstblätter hoch in die Luft, und wenn ich zum Airtrain-Bahnsteig
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