Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
wird von den Mitarbeitern der Erhebung herbeigeschleppt.
Nachdem ich die Ampullen in der ersten Kiste fertiggescannt habe, hält mir jemand eine neue hin.
»Danke«, sage ich, will sie annehmen und blicke auf.
Es ist Ky!
»Carrow«, sagt er.
»Markham«, sage ich. Seltsam, ihn mit seinem Nachnamen anzusprechen. »Du hast dich also auch der Erhebung angeschlossen.«
»Natürlich«, antwortet er. »Schon vor langer Zeit.« Dabei grinst er, weil wir beide wissen, dass das eine Lüge ist. Ich hätte tausend drängende Fragen an ihn, aber uns bleibt keine Zeit. Wir dürfen die Lieferung nicht unterbrechen.
Auf einmal erscheint mir das nicht mehr als das Wichtigste auf der Welt. Ich will von ihm wissen, wie es ihr geht und wo sie steckt und ob er etwas von ihr gehört hat.
»Schön, dich zu sehen«, sagt Ky.
»Ja, ich freue mich auch«, antworte ich. Und das meine ich ehrlich. Ky streckt mir seine Hand hin. Ich schlage ein, drücke zu und spüre, wie er mir ein gefaltetes Stück Papier übergibt.
»Das ist von ihr«, sagt er so leise, dass die anderen es nicht hören können. Bevor uns jemand ermahnen kann weiterzuarbeiten, geht er schon zur Tür. Als er weg ist, lasse ich den Blick über die anderen Heilmittellieferanten schweifen und entdecke, dass mich ein rothaariges Mädchen beobachtet.
»Du kennst mich nicht«, sagt sie.
»Nein«, bestätige ich.
Sie mustert mich mit schräg geneigtem Kopf. »Ich heiße Indie«, sagt sie und lächelt. Dadurch erstrahlt ihre Schönheit, und ich erwidere ihr Lächeln. Dann ist auch sie verschwunden.
Verstohlen lasse ich das Stück Papier in meiner Jackentasche verschwinden. Ky kehrt nicht mehr zurück, jedenfalls sehe ich ihn nicht noch einmal. Unwillkürlich erinnert mich die Situation an damals im Freizeitzentrum zu Hause, als er im Spiel absichtlich verlor und ich der Einzige war, der es wusste. Jetzt teilen wir ein weiteres Geheimnis. Was steht in der Nachricht? Ich brenne darauf, sie zu lesen, aber meine Schicht ist noch nicht vorüber. Wir haben so viel zu tun, dass keine Zeit für irgendetwas anderes bleibt.
Ky und ich waren praktisch seit seiner Ankunft in unserer Siedlung miteinander befreundet. Anfangs war ich neidisch auf ihn. Ich forderte ihn heraus, rote Tabletten zu stehlen, und er tat es. Danach respektierten wir einander.
Mir fällt eine andere Situation ein, als Ky und ich ungefähr dreizehn Jahre alt waren. Wir waren beide in Cassia verliebt. Wir standen in der Nähe ihres Hauses und unterhielten uns. Beide taten wir so, als interessierten wir uns für das, was der andere sagte, aber in Wirklichkeit warteten wir nur darauf, dass sie hinauskam.
Irgendwann gaben wir das Theaterspiel auf. »Sie kommt nicht«, sagte ich.
»Vielleicht ist sie zu Besuch bei ihrem Großvater«, meinte Ky.
Ich nickte.
»Irgendwann kommt sie auf jeden Fall wieder«, sagte Ky. »Deswegen weiß ich gar nicht, warum es so schlimm ist, dass sie im Moment nicht da ist.«
Da wusste ich, dass wir beide dasselbe fühlten. Ich wusste, dass er Cassia liebte, vielleicht nicht auf dieselbe Art und Weise, aber genauso sehr wie ich. Nämlich: bedingungslos. Hundertprozentig.
Die Gesellschaft behauptete, dass es solche Absolutheiten nicht gäbe, aber weder Ky noch ich scherten uns darum. Auch das schätzte ich an ihm, und ich bewunderte, dass er nie jammerte oder sich über irgendetwas aufregte, obwohl es in unserer Siedlung nicht leicht für ihn gewesen sein muss. Die meisten betrachteten ihn nur als Ersatz für einen anderen.
Dieses Rätsel habe ich bis heute nicht gelöst: Was ist wirklich mit Matthew Markham geschehen? Die Gesellschaft hat behauptet, er sei ermordet worden, aber das glaube ich nicht.
In jener Nacht, als Patrick Markham im Schlafanzug die Straße auf und ab wanderte, ging mein Vater hinaus und überredete ihn, ins Haus zurückzukehren, bevor jemand die Funktionäre rief.
»Er war völlig außer sich«, flüsterte mein Vater draußen auf der Treppe meiner Mutter zu, nachdem er Patrick nach Hause gebracht hatte. Ich horchte an der Tür. »Er hat Behauptungen geäußert, die einfach nicht stimmen können.«
»Was hat er gesagt?«, fragte meine Mutter.
Mein Vater antwortete zunächst nicht, doch als ich schon glaubte, er würde ihr nichts erzählen, sagte er: »Patrick hat ständig wiederholt: Wie konnte ich das nur tun? «
Meine Mutter seufzte tief. Ich auch. Beide drehten sich um und sahen mich durch die Fliegengittertür. »Geh wieder ins Bett, Xander«, sagte
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