Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
kannst dir nicht mal mehr im Traum ausmalen, er wäre noch da«, stelle ich fest. Ich dagegen kehre in meinen Träumen in frühere Zeiten zurück, als Cassia und ich noch in unserer alten Heimat lebten.
»Stimmt«, sagt Lei. »Das kann ich leider nicht.« Sie sieht mich an, und ich verstehe, was sie mir sagen will. Ihr Partner ist fort, und nichts ist mehr so, wie es einmal war.
Dann neigt sie sich nach vorn und legt mir zu meiner Überraschung eine Hand an die Wange, ganz kurz nur. Nach Cassia hat das niemand mehr getan, und ich muss der Versuchung widerstehen, mich an sie zu schmiegen. »Du hast blaue Augen«, sagt sie und zieht ihre Hand zurück, »wie er.« Sie klingt einsam und voller Sehnsucht: nach ihm.
Kapitel 13
Cassia
Zunächst ist rund um das Museum niemand zu sehen, und ich knirsche vor Frustration mit den Zähnen. Wie soll ich mir den Weg aus Central heraus verdienen, wenn keiner Geschäfte macht? Ich brauche die Provisionen!
Ich mahne mich zur Geduld. Oft warten die Kunden eine Weile im Verborgenen, bis sie es wagen, mich anzusprechen. Bisher bin ich die einzige Händlerin hier, aber das wird nicht mehr lange so bleiben. Andere werden meinem Beispiel folgen.
Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich eine Bewegung, und schon biegt eine junge Frau mit blonden Haaren und schönen Augen um die Ecke. In den hohlen Händen trägt sie etwas vor sich her. Unwillkürlich denke ich an Indie und ihr Wespennest, das sie so behutsam durch die Canyons transportiert hat.
Die junge Frau kommt auf mich zu und fragt: »Haben Sie einen Augenblick Zeit?«
»Natürlich«, sage ich. Die alten Losungen, mit denen man nach der Geschichte der Gesellschaft fragen musste, sind längst passé. Wir brauchen sie nicht mehr.
Die Frau streckt mir ihre Hände hin, und darin sitzt ein winziger, grünbrauner Vogel.
Ich blinzele. Der Anblick ist so überraschend, dass ich den reglosen Vogel wortlos anstarre. Nur der Wind fährt ihm sanft durch die Federn.
Dieses Grün – das kenne ich doch?
»Ich habe ihn selbstgemacht«, sagt die junge Frau, »als Dank für das Lied, das Sie für meinen Bruder geschrieben haben. Hier, bitte!«
Sie reicht mir den winzigen Vogel, der aus Lehm geformt und dann getrocknet zu sein scheint. Schwer und erdig liegt er in meiner Hand. Die Federn aus zarten, fransigen Streifen grüner Seide bedecken nur die Flügel.
»Er ist wunderschön!«, sage ich. »Die Federn … sind das …«
»Sie sind aus der Stoffprobe meines Ballkleides, die mir die Gesellschaft einige Monate nach meiner Paarung geschickt hat«, erklärt das Mädchen. »Ich dachte mir, die brauche ich sowieso nicht mehr.«
Sie hat also auch Grün getragen.
»Sie dürfen den Vogel nicht zu fest halten«, rät sie, »sonst könnten Sie sich schneiden.« Sie zieht mich aus dem Baumschatten hervor, und in der Sonne glitzern die nicht mit Federn bedeckten Teile des Vogels wie Sterne in der Sonne.
»Ich musste die Glasscheibe im Rahmen zerbrechen, um die Seide herauszuholen«, erklärt sie, »und da konnte ich das Glas ja auch gleich verwenden. Ich habe es fein zermahlen und den Vogel nach der Fertigstellung in den Splittern gerollt. Sie waren fast so fein wie Sandkörner.«
Ich schließe die Augen. Damals zu Hause habe ich etwas ganz Ähnliches getan. Ich erinnere mich noch an das laute Knacken, als ich die Scheibe zerbrach, um den Stoff für Ky herauszuholen.
Der Vogel schimmert und scheint sich zu bewegen. Glitzer aus Glas, Federn aus Seide.
Das Tierchen wirkt so lebendig, dass ich es am liebsten in die Luft geworfen hätte, um zu sehen, ob es fliegen kann. Aber ich weiß, dass ich nur den dumpfen Aufprall von hartem Lehm hören und grünliche, zerstreute Fragmente sehen würde, wenn es auf dem Boden aufschlüge. Seine äußere Gestalt, die es als Vogel, fliegendes Wesen charakterisiert, wäre zerstört. Ich halte es also behutsam fest und lasse dieses Wissen in mir aufsteigen wie ein Lied.
Ich bin nicht die Einzige, die schreibt.
Nicht die Einzige, die etwas erschafft.
Die Gesellschaft hat uns so vieles genommen, aber es kursieren noch immer Melodiefetzen und Gedichtverse, Andeutungen von Kunst. Dieses Phänomen ließ sich nie ganz unterdrücken. Wir haben all das wahrgenommen, manchmal ganz unbewusst, und viele sehnen sich bis heute danach, ihre latente Kreativität zu entfalten.
Wieder wird mir bewusst, dass wir nicht mit unserer Kunst handeln müssen – wir können sie einfach verschenken oder teilen. Einer könnte ein Gedicht
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