Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
wir könnten beide Überträger sein. Vielleicht hast du dich noch gar nicht angesteckt.«
Ky nickt und zieht sein Hemd wieder über. Als er sich umdreht, spricht Qual, aber auch Erleichterung aus seinem Blick. Er hat nicht damit gerechnet, immun zu sein; er hat nie im Leben Glück gehabt. Aber er ist froh, dass ich geschützt bin. In meinen Augen brennen Tränen der Wut. Warum muss es immer Ky treffen? Wie kann er das ertragen?
Er schnallt sich nicht an, sondern läuft auf und ab.
Aus einem Lautsprecher an der Wand ertönt die Stimme des Steuermannes. »Der Flug dauert nicht lange.«
»Wohin fliegen wir?«, fragt Ky.
Der Steuermann antwortet nicht.
»In die Berge«, erkläre ich, und zugleich sagt Xander: »Um dem Steuermann zu helfen, ein Heilmittel zu entwickeln.«
»Das hat Indie euch erzählt, oder?«, fragt Ky. Xander und ich nicken. Ky zieht die Augenbrauen hoch, als wolle er sagen: Und was hat der Steuermann vor?
»Im Frachtraum wartet etwas auf Cassia«, sagt der Steuermann. »Eine Schachtel. Sie steht im hinteren Teil.«
Xander findet die Schachtel zuerst und schiebt sie mir zu. Er und Ky sehen zu, wie ich sie öffne. Zwei Dinge befinden sich darin: ein Datenpod und ein zusammengefaltetes Blatt weißes Papier.
Zuerst hole ich den Datenpod heraus und gebe ihn Xander. Ky bleibt auf der anderen Seite des Schiffes. Dann nehme ich das Papier in die Hand, weißes, glattes Terminalpapier. Es ist auf eine ungewöhnliche Art zusammengefaltet, um etwas Schwereres in seinem Inneren zu schützen. Als ich die verschiedenen Lagen auseinanderklappe, finde ich im Inneren Großvaters Mikrochip.
Bram hat ihn mir tatsächlich geschickt.
Und er hat noch etwas hinzugefügt: einige Zeilen in der Mitte des Blattes. Einen verschlüsselten Text.
Das Schriftbild formt ein Muster – Bram hat den Text wie das Spiel gestaltet, das ich einmal für ihn auf dem Schreibcomputer entworfen habe. Das ist die Handschrift meines Bruders! Bram hat sich selbst das Schreiben beigebracht, und anstatt meine Nachricht nur zu entschlüsseln, hat er sich einen eigenen, simplen Code ausgedacht. Wir haben immer alle geglaubt, er wäre unaufmerksam, dabei entgeht ihm nichts, wenn er sich wirklich für etwas interessiert. Er hätte also doch einen wunderbaren Sortierer abgegeben.
Mir kommen die Tränen, als ich an meine Familie im Exil in Keya denke. Der Code von Bram, das kunstvoll gefaltete Papier von meiner Mutter – das kann nur sie gewesen sein. Nur mein Vater hat nichts mitgeschickt.
»Sehen Sie sich nun den Mikrochip an.« Der Steuermann spricht weiterhin höflich, aber seine Bitte klingt trotzdem wie ein Befehl.
Ich schiebe den Mikrochip in den Datenpod. Obwohl es ein älteres Modell ist, erscheint das erste Bild schon nach wenigen Sekunden. Da ist er: Großvater. Sein geliebtes, freundliches, kluges Gesicht. Ich habe ihn seit knapp einem Jahr nicht mehr gesehen, außer in meinen Träumen.
»Funktioniert der Datenpod?«, fragt der Pilot.
»Ja«, krächze ich mit schmerzlich zugeschnürter Kehle. »Ja, danke.«
Für einen Moment vergesse ich, dass ich nach etwas ganz Bestimmtem suche – nach Großvaters liebster Erinnerung an mich. Stattdessen betrachte ich fasziniert Bilder von ihm in verschiedenen Phasen seines Lebens.
Großvater als Kind, neben seinen Eltern stehend. Etwas älter, in Zivil, dann mit dem Arm um eine junge Frau gelegt. Meine Großmutter. Dann Großvater mit einem Baby auf dem Arm, meinem Vater, meine Großmutter lachend an seiner Seite. Dann verschwindet auch dieses Bild.
Bram und ich erscheinen mit Großvater zusammen auf dem Bildschirm. Und verschwinden wieder.
Der Durchlauf endet mit einem Bild von Großvater am Ende seines Lebens. Er ist immer noch ein gutaussehender Mann, und seine dunklen Augen blicken mich humorvoll und streng zugleich vom Bildschirm aus an.
»Zum Abschied hat Samuel Reyes nach herrschender Sitte eine Liste seiner Lieblingserinnerungen an seine noch lebenden Verwandten zusammengestellt«, spricht die Historikerin, die die Chronik kommentiert. »Im Fall seiner Schwiegertochter Molly ist es der Tag ihrer ersten Begegnung.«
Auch mein Vater erinnerte sich gern an jenen Tag. Damals in Oria erzählte er mir, wie er meine Mutter zusammen mit seinen Eltern vom Airtrain abholte. Mein Vater sagte, sie alle hätten sich an jenem Tag in sie verliebt, und er hätte niemals einen so warmherzigen und lebendigen Menschen wie sie getroffen.
»Seine Lieblingserinnerung an seinen Sohn Abran
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