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Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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Die leere Pillendose schiebe ich weit nach hinten unter meine Matratze. Ich muss alle Hinweise auf meinen Bürgerstatus loswerden.
    Plötzlich merke ich, dass etwas in meinem Beutel fehlt.
    Das Silberetui von meinem Paarungsball.
    Noch einmal blättere ich durch die Papiere, taste das Bettzeug ab, schaue hinunter auf den Boden. Nein, ich habe es weder fallen lassen noch verloren – es ist einfach verschwunden.
    Ich hätte es sowieso zurücklassen müssen, aber der Verlust beunruhigt mich.
    Wer könnte das getan haben?
    Doch ich habe jetzt keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Ich schlüpfe aus meiner Koje und folge der Wächterin und dem weinenden Mädchen. Die anderen in der Unterkunft tun so, als schliefen sie, genau wie die Bewohner unserer Siedlung an dem Morgen, als Ky abgeholt wurde.
    »Lauf, Indie!«
, flüstere ich leise. Ich hoffe, dass wir beide das finden, was wir suchen.
     
    Wenn man jemanden liebt, wenn man von jemandem geliebt wurde, wenn man schreiben gelernt hat und einen Mund zum Sprechen hat, wie kann man dann schweigen und stillhalten?
    Denn schenkt man einmal seine Liebe her, ist sie weg. Man kann sie nicht mehr zurückrufen.
    Ky lastet schwer auf meiner Seele, tief in meinem Herzen, seine Handflächen warm in meinen leeren Händen. Ich muss versuchen, ihn zu finden. Ihn zu lieben hat mir Flügel verliehen und meine Arbeit hat mich stark genug gemacht, mit den Schwingen zu schlagen.
     
    Ein Flugschiff landet in der Mitte des Lagers. Die Wächter, von denen ich einige noch nie gesehen haben, wirken gehetzt und besorgt. Einer von ihnen, der eine Pilotenuniform trägt, blafft einen Befehl und blickt hinauf zum Himmel. Bald geht die Sonne auf.
    »Eine fehlt«, höre ich ihn leise sagen, dann schlüpfe ich in eine Reihe.
    »Sind Sie sicher?«, fragt eine Wächterin und lässt den Blick über uns schweifen. Sie zählt die Reihen durch. Man sieht ihr die Erleichterung an. Sie hat schönes, langes braunes Haar und sieht nett aus – für eine Wächterin.
    »Nein«, erwidert sie. »Wir haben genug.«
    »Wirklich?«, fragt der Mann in Uniform und zählt selbst nach. Bilde ich es mir nur ein, oder lässt er den Blick einen Moment lang auf mir ruhen? Erinnert er sich daran, dass ich eben noch nicht da war? Nicht zum ersten Mal frage ich mich, welche meiner Handlungen von meiner Funktionärin vorausgesagt wurden und von daher bekannt sind. Beobachtet sie mich immer noch? Beobachtet mich die Gesellschaft?
    Nachdem wir alle der Reihe nach durch den Eingang ins Flugschiff gestiegen sind, zerrt ein Wächter Indie an Bord. Kratzspuren ziehen sich über sein Gesicht, und sowohl seine Uniform als auch Indies Zivilkleider sind mit dem Schmutz der Felder beschmiert, wie Wunden, aus denen Erde sickert.
    »Sie hat versucht, wegzulaufen«, keucht er, stößt sie auf den Sitz neben mir und legt ihr Handschellen an. Indie verzieht keine Miene beim Klicken der Schlösser, ich dagegen zucke zusammen.
    »Jetzt haben wir zu viele«, bemerkt die Wächterin.
    »Ist doch egal«, murrt ihr Kollege. »Das sind Aberrationen! Wir müssen starten.«
    »Sollen wir sie jetzt durchsuchen?«, fragt sie.
    Nein! Sie würden die Tabletten in meinem Beutel finden!
    »Nein, später, wenn wir in der Luft sind. Wir müssen starten.«
    Indie blickt zu mir herüber, und unsere Augen begegnen sich. Zum ersten Mal, seitdem ich sie kennengelernt habe, fühle ich mich ihr auf seltsame Weise verbunden, eine Vertrautheit, die einer Freundschaft so nahe kommt, wie unter den gegebenen Umständen eben möglich ist. Wir kennen uns aus dem Arbeitslager, jetzt brechen wir gemeinsam auf zu einer neuen Erfahrung.
    Irgendwie geht alles seltsam hektisch zu, unorganisiert, ganz und gar untypisch für die Gesellschaft. Obwohl ich dankbar für die Chance bin, durch die Lücke zu schlüpfen, spüre ich die begrenzenden Mauern der Gesellschaft auf allen Seiten, erdrückend und tröstlich zugleich.
    Ein Funktionär betritt das Schiff, fragt: »Alles startklar?«, und die Wächter nicken. Ich warte darauf, dass weitere Funktionäre nachkommen – sie operieren fast immer in Dreiergruppen –, doch die Tür schließt sich. Nur ein Funktionär und drei Wächter, einer davon der Pilot. Aus dem Verhalten der Wächter dem Funktionär gegenüber schließe ich, dass er der Ranghöchste in der Gruppe ist.
    Das Flugschiff hebt ab. Es ist meine erste Flugreise – bisher habe ich mich nur mit Airtrains und Transportern fortbewegt –, und vor Enttäuschung spüre

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