Cassia & Ky – Die Flucht
dann beobachte ich, wie er aus den dunklen Abgründen auftaucht und an die Oberfläche gelangt. Er verzieht das Gesicht, bewegt die Lippen, öffnet die Augen. Und dann lächelt er, und die Sonne geht auf. Als er sich zu mir hinunterbeugt, strecke ich die Arme nach ihm aus und werde gewärmt, als unsere Lippen sich begegnen.
Wir unterhalten uns über das Tennyson-Gedicht, dass wir es beide immer noch auswendig können und wie er es mich zu Hause in Oria hat lesen sehen. Er hat gehört, dass es früher als Losung benutzt wurde, hier draußen, als er noch ein Kind war, und kürzlich hat Vick ihm noch einmal davon erzählt.
Vick. Ky erzählt liebevoll von seinem Freund, der ihm geholfen hat, die Toten zu begraben, und von dem Mädchen Laney, in das er verliebt war. Dann berichtet er mit harter, kalter Stimme von seiner Flucht und davon, wie er die anderen Lockvögel im Stich gelassen hat. Erbarmungslos geht er mit sich ins Gericht. Ich dagegen denke weniger an die, die er zurückgelassen hat, sondern an den, den er mitgenommen hat. Eli. Ky hat getan, was er konnte.
Ich erzählte ihm Indies Version der Geschichte des Steuermanns und mehr über den Jungen, der sich für die andere Schlucht entschieden hat. »Er hat etwas gesucht«, vermute ich und frage mich, ob der Junge gewusst hat, was sich hinter der Wand der Gesellschaft in jener Schlucht verbirgt. »Und er ist gestorben.«
Zuletzt erzähle ich Ky von den blau gezeichneten Anomalien auf dem Felsplateau und dass ich mich frage, ob sie zur Erhebung gehört haben.
Dann schweigen wir. Weil wir nicht wissen, was als Nächstes geschieht.
»Die Gesellschaft ist also in die Schluchten eingedrungen«, stellt Ky fest.
Elis Augen weiten sich. »Sie ist auch in unseren Mänteln.«
»Was soll das heißen?«, frage ich, und Ky und Eli erzählen uns von den Heizdrähten und der Messapparatur.
»Meine Messdrähte habe ich herausgerissen«, sagt Ky, was erklärt, warum sein Mantel so zerfetzt aussieht.
Ich schaue Eli an, der abwehrend die Arme über der Brust verschränkt und bemerkt: »Ich habe meinen so gelassen, wie er ist.«
»Schon in Ordnung«, sagt Ky. »Es ist deine Entscheidung.« Er wirft mir einen fragenden Blick zu.
Lächelnd ziehe ich den Mantel aus und halte ihn ihm hin. Er nimmt ihn an und betrachtet mich, als könne er immer noch nicht glauben, dass ich hier vor ihm stehe. Ich erwidere seinen Blick. Er lächelt, breitet den Mantel auf dem Boden vor sich aus und schlitzt mit schnellen, sicheren Bewegungen das Futter auf.
Als er fertig ist, gibt er mir ein Knäuel blauer Drähte und eine kleine silberne Scheibe.
»Was hast du mit dem Zeug gemacht?«, frage ich ihn.
»Wir haben es vergraben«, antwortet er.
Ich nicke und beginne, in der Erde zu wühlen, um die Drähte und die Scheibe ebenfalls dort zurückzulassen. Als ich fertig bin, stehe ich auf. Ky hält mir den Mantel hin und ich schlüpfe hinein. »Er müsste dich immer noch wärmen«, meint er. »Die roten Drähte habe ich nicht angerührt.«
»Was ist mit dir?«, fragt Eli, an Indie gewandt.
Sie schüttelt den Kopf und sagt: »Ich halte es wie du.« Eli lächelt andeutungsweise.
Ky nickt. Er scheint nicht weiter überrascht zu sein.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragt Indie. »Ich finde nicht, dass wir versuchen sollten, die Ebene zu überqueren, nach dem, was mit deinem Freund passiert ist.«
Eli zuckt bei ihrer Taktlosigkeit gequält zusammen, und Kys Stimme klingt gepresst, als er antwortet. »Das stimmt. Sie könnten zurückkehren und selbst wenn nicht – das Wasser da draußen ist vergiftet.«
»Wir haben doch aber einiges von dem Gift rausgeholt«, erwidert Eli.
»Warum?«, fragt Indie.
»In dem Versuch, den Fluss zu retten«, antwortet Ky. »Aber das war unsinnig.«
»War es nicht!«, erwidert Eli.
»Wir haben nicht genug herausgefischt, um wirklich etwas zu bewirken.«
»Haben wir doch!«, entgegnet Eli dickköpfig.
Ky holt eine Karte aus seinem Rucksack und rollt sie aus, ein wunderschönes Dokument, gezeichnet und koloriert. »Wir sind jetzt hier«, sagt er und zeigt auf eine Stelle am Rande der Felsformation.
Ich muss unwillkürlich lächeln. Wir sind hier, zusammen. In dieser großen, weiten Welt haben wir es geschafft, einander wiederzufinden. Ich strecke den Arm aus und fahre auf der Karte die Strecke entlang, auf der ich zu ihm gelangt bin, bis sich unsere Hände begegnen.
»Ich habe einen Weg gesucht, um zu dir zurückzukehren«, sagt Ky. »Ich hatte vor, die Ebene
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