Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
Vom Netzwerk:
färbt.
    »Liebe«, sagt Ky schließlich.
    »Liebe?«, frage ich.
    »Ja«, antwortet er.
    »Liebe«, wiederhole ich leise, immer noch verwirrt.
    »Ich denke an Liebe, wenn ich es ansehe«, versucht Ky mir zu erklären. »Du denkst vielleicht an etwas anderes. Es ist wie mit dem Steuermann in deinem Gedicht – jeder, der diesen Namen hört, stellt sich etwas anderes unter ihm vor.«
    »Woran denkst du, wenn du meinen Namen hörst?«, frage ich ihn.
    »An vieles«, flüstert Ky, und mir läuft ein Schauer über den Rücken. »An dies hier. Den Hügel. Die Canyons. Orte, an denen wir zusammen gewesen sind.« Er weicht zurück, und ich spüre, wie er mich ansieht. Ich halte den Atem an, denn es gibt so vieles, was er sieht. »Und an Orte, an denen wir nicht gewesen sind«, fügt er hinzu, »noch nicht.« Er klingt grimmig, wenn er über die Zukunft spricht.
     
    Wir haben beide das Bedürfnis nach Bewegung und frischer Luft. Indie und Eli schlafen noch, und wir stören sie nicht. Wenn sie aufwachen, können sie uns vom Fenster aus sehen.
    Diese Schlucht, die ich vorher für so unfruchtbar und trocken gehalten habe, ist in Wahrheit erstaunlich grün, besonders in der Nähe des Flusses. Wasserkresse säumt die schlammigen Ufer, Moos schmückt die roten Felsbrocken am Rande, Sumpfgras flicht seine grünen Halme in das Grau. Als ich auf das Eis am Ufer stampfe, zersplittert es und erinnert mich an damals, als ich die schützende Glasscheibe vor dem eingerahmten Stoffmuster meines Paarungsballkleides zerbrach. Als ich hinunter auf die Stelle blicke, auf die ich getreten habe, sehe ich, dass sogar das zerbrochene Eis auf der Unterseite grün schimmert, in genau der gleichen Farbe wie mein Paarungsballkleid. Diesen Grünton bemerke ich in der Schlucht zum ersten Mal; vorher war ich einfach zu sehr darauf fixiert, Ky aufzuspüren.
    Ich blicke zu ihm auf, während er den Fluss entlangwandert, und mir fällt sein athletischer Gang auf, sogar, wenn er auf Stellen tritt, die uneben sind. Er dreht sich zu mir um, hält inne und lächelt.
    Du gehörst hierher
, denke ich.
Du bewegst dich anders als in der Gesellschaft
. Alles in der Niederlassung scheint zu ihm zu passen – die schönen, ungewöhnlichen Gemälde, die karge Unabhängigkeit dieses Dorfes.
    Es fehlt nur eins: Menschen, die ihm zur Seite stehen. Er hat nur uns drei.
    »Ky«, spreche ich ihn an, als wir die Baumgruppe erreichen.
    Er bleibt stehen. Seine Augen sehen nur mich, und seine Lippen haben meine berührt, sie haben meinen Hals, meine Hände, die Innenseite meiner Handgelenke und jeden Finger gestreift. Als wir uns in jener Nacht unter den kalten, leuchtenden Sternen küssten und umarmten, hatte ich nicht das Gefühl, dass wir Zeit stahlen. Ich spürte, dass sie uns ganz allein gehörte.
    »Ich weiß«, sagt er.
    Wir sehen uns lange in die Augen, bevor wir uns unter den Ästen der Bäume hindurchducken. Ihre Rinde ist grau verwittert, und Verwehungen brauner Blätter haben sich unter ihnen angehäuft, die im Schluchtwind taumeln und seufzen.
    Als die Blätter beiseitegeweht werden, entdecke ich weitere graue Steine auf dem Boden, ähnlich dem, den Hunter gestern niedergelegt hat. Ich berühre Kys Arm. »Sind das alles …«
    »Stellen, an denen Tote beerdigt wurden«, antwortet er. »Ja. Das nennt man einen Friedhof.«
    »Warum haben sie sie nicht weiter oben begraben?«
    »Weil sie das Land dort für die Lebenden brauchten.«
    »Aber die Bücher«, wende ich ein. »Die haben sie hoch oben gesichert, und Bücher sind keine Lebewesen.«
    »Aber die Bücher nutzen den Lebenden noch«, sagt Ky leise. »Die Toten nicht mehr. Wenn ein Friedhof überflutet wird, wird nichts zerstört, was nicht ohnehin schon vergangen ist. Bei der Bibliothek verhält es sich anders.«
    Ich hocke mich hin und betrachte die Steine. Die Orte, an denen Menschen liegen, sind unterschiedlich gekennzeichnet. Namen, Daten, manchmal ein Vers. »Was hat das zu bedeuten?«, frage ich.
    »Das sind Grabinschriften«, antwortet er.
    »Wer wählt sie aus?«
    »Kommt darauf an. Manchmal die Menschen selbst, wenn sie ihren nahenden Tod spüren. Oder die Angehörigen. Sie denken sich dann etwas aus, was zu der verstorbenen Person und ihrem Leben passt.«
    »Traurig«, sage ich, »aber trotzdem schön.«
    Ky zieht die Augenbrauen hoch, und ich stelle das rasch klar. »Dass sie tot sind, ist natürlich nicht schön. Nein, ich meine die Sitte mit den Grabsprüchen. Zu Hause entscheidet die Gesellschaft,

Weitere Kostenlose Bücher