Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Streichholzschachtel in der Hand.
»Werd’ nach Hause fahren, nach Winnerrow zu Besuch«, sagte Kitty mit einer unheimlich monotonen Stimme. »Wir gehen hin, damit du deine Schwester Fanny und deinen Großvater sehen kannst. Und ich werd’ meine Schwester Maisie und meinen Bruder Danny besuchen. Möcht’ mal wieder zu meinem Ursprung zurück und meinen Schwur erneuern, daß ich niemals so werden will wie sie. Will angeben mit dir. Will nicht, daß du häßlich aussiehst, als würd’ ich dich vernachlässigen. Bist hübscher geworden, als ich gedacht hätt’. Die Hillbilly-Dreckskerle werden hinter dir her sein. Also werde ich dich vor dem Bösen in dir retten. Ab heute wirst du mir nicht mehr widersprechen. Nie mehr. Wenn du erfahren willst, wo deine kleine Schwester Unsere-Jane ist und was mit Keith geschehen ist, dann tust du gefälligst, was ich dir sag’.«
»Du weißt, wo sie sind? Wirklich?« fragte ich aufgeregt und hatte die zornigen Worte, die ich Kitty eben entgegengeschleudert hatte, fast vergessen.
»Weiß der Himmel denn nicht, wo die Sonne steht? Weiß’n Baum nicht, wohin er seine Wurzeln pflanzen soll? Natürlich weiß ich es. In Winnerrow gibt’s keine Geheimnisse, nicht wenn man dazugehört… Und sie meinen, ich bin eine von ihnen.«
»Kitty, wo sind sie, bitte sag es mir! Ich muß sie finden, bevor Unsere-Jane und Keith mich vergessen haben. Bitte sag es mir! Bitte! Ich weiß, daß ich gerade eben gemein zu dir gewesen bin, aber du warst es auch. Bitte, Kitty.«
»Bitte, was?« O mein Gott!
Ich wollte es nicht sagen. Ich rutschte auf der glatten Tischfläche hin und her, und hielt die Kanten so fest umklammert, daß ich mich geschnitten hätte, wenn das Glas nicht facettiert gewesen wäre.
»Du bist nicht meine Mutter.«
»Sag es.«
»Meine richtige Mutter ist tot, und Sarah ist schon seit Jahren meine Stiefmutter…«
»Sag es.«
»Es tut mir leid… Mutter.«
»Und was noch?«
»Wirst du mir alles über Unsere-Jane und Keith erzählen?«
»Sag es.«
»Es tut mir leid, daß ich dir so viele häßliche Dinge gesagt habe… Mutter.«
»Entschuldigung genügt nicht.«
»Was soll ich noch sagen?«
»Da gibt’s nichts zu sagen. Nicht mehr. Ich hab’ dich dabei erwischt. Hab’ gehört, was du mir an den Kopf geschleudert hast. Hast mich ‘ne Betrügerin genannt. Hast mich ‘n Hillbilly-Miststück genannt. Wußt’s immer schon, daß du dich eines Tages gegen mich wenden würdest, in dem Augenblick, wenn ich dir den Rücken zudrehen würd’. Mußtest wohl auf der Seite liegen und mit dem Hintern herumwackeln, um dich zu vergnügen, was? Dann hast mich noch mal beleidigen müssen… Nu’ muß ich sehen, daß ich dir das Böse austreiben kann.«
»Wirst du mir dann sagen, wo Unsere-Jane und Keith sind?«
»Wenn ich fertig bin und dich gerettet hab’ – dann vielleicht.«
»Mutter, warum zündest du ein Streichholz an? Es ist doch nicht mehr dunkel. Wir brauchen die Kerzen erst, wenn es richtig Nacht ist.«
»Hol die Puppe.«
»Warum?« schrie ich verzweifelt.
»Frag nicht, warum. Tu, was ich dir sag’.«
»Wirst du mir dann von Keith und Unserer-Jane erzählen?«
»Alles. Alles, was ich weiß.«
Sie hatte eines der langen Streichhölzer angezündet. »Bevor ich mir die Finger verbrenne, holst du sofort die Puppe.«
Ich eilte in mein Zimmer. Weinend holte ich die Puppe unter meinem Bett hervor, die Puppe, die meine tote Mutter verkörperte, meine junge Mutter, deren Gesicht ich geerbt hatte. »Sei nicht böse, Mutter«, sagte ich unter Tränen und bedeckte ihr kleines, hartes Gesicht mit Küssen. Dann lief ich wieder hinunter. Bevor ich ganz unten war, stolperte ich über zwei Stufen und fiel hin. Hastig rappelte ich mich hoch und hinkte zu Kitty. Mein Knöchel tat so weh, daß ich am liebsten geschrien hätte.
Kitty stand in der Nähe des Kamins. »Leg sie da drauf«, befahl sie kalt und zeigte auf den Kaminbock mit dem Rost. Holzscheite lagen aufgeschichtet, die Cal nur als Dekoration gedacht hatte; Kitty mochte den Rauch des Kaminfeuers nicht, der ihr ganzes sauberes Haus »verstunken« hätte.
»Bitte, verbrenne sie nicht, Mutter.«
»Zu spät, um das Böse, das du getan hast, wieder rückgängig zu machen.«
»Bitte, Mutter. Es tut mir leid. Bitte, tu der Puppe nichts. Ich habe kein einziges Photo von meiner Mutter. Ich habe sie nie gesehen. Dies ist alles, was ich von ihr habe.«
»Lügnerin!«
»Mutter… Sie konnte nichts dafür, was Vater dir
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