Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Kittys, die nicht so gut waren, daß sie verkauft werden konnten, und die keiner sehen durfte, landeten in meinem Zimmer. Warum glotzten mich alle so aus starren Glasaugen an?
Der Donner grollte. Im gleichen Augenblick wurde das Zimmer von einem Blitz erhellt. Ich drückte meine Puppe fester an mich. Der Himmel öffnete sich, und was da herunterkam, war alles andere als ein erfrischender Sommerregen. Ich setzte mich auf und spähte durch das Fenster, an dem das Wasser eimerweise herunterlief; die Straße unten war überschwemmt, man konnte die Häuser kaum erkennen, sie schienen weit weg zu sein, wie aus einer anderen Welt. Wieder kuschelte ich mich ins Bett, ohne auf mein schönes Georgette-Kleid zu achten. Mit meiner »Mutter«-Puppe im Arm schlief ich wieder ein.
Der Regen trommelte so laut ans Fenster, daß alle anderen Geräusche übertönt wurden. Der krachende Donner verursachte einen so ohrenbetäubenden Lärm wie Riesen in Irvings Sage von Rip van Winkle, die ihre Kugeln alle gleichzeitig rollen ließen, daß sie dröhnend aufeinanderprallten und fürchterliche Blitze abgaben, die alle paar Sekunden durch die Dunkelheit zuckten. Wie ein Regisseur baute ich alle Geräusche der Außenwelt in meine Traumszenen ein. In einem nebeldurchwallten Traum, schöner, als es die Wirklichkeit je sein könnte, schwebten Logan und ich durch einen Wald voller grüner Schatten. Er war älter geworden, ich auch – und es lag eine knisternde Spannung zwischen uns, eine Erregung, die mein Herz lauter und heftiger pochen ließ…
Aus der Dunkelheit ragte eine Gestalt heraus; sie war nicht in weiß gekleidet, sondern in einem grellen Pink. Kitty! Ich setzte auf und rieb mir die Augen.
»Na…«, sagte Kitty mit gedehnter, tonloser Stimme, »schau mal einer an, was macht denn das Hillbilly-Flittchen? Hat sich fein rausputzt und lungert auf dem Bett herum.«
Was hatte ich den Schlimmes getan, daß Kitty nun wie ein Racheengel Gottes kurz vor dem Weltuntergang vor mir stand?
»Hörst du mich, du Miststück?«
Diesmal zuckte ich zusammen, als hätte man mich geschlagen. Wie konnte sie so gemein sein, wo ich mich den ganzen Tag mit Vorbereitungen für ihre Party abgerackert hatte? Genug! Ich hatte genug! Ich war es leid, mit Schimpfworten überschüttet zu werden, ich hatte es endgültig satt. Ich wollte mich diesmal nicht mehr einschüchtern lassen. Ich war kein Flittchen und schon gar kein Miststück!
Mein Zorn gegen sie flammte auf wie ein Riesenfeuer, vielleicht weil sie mich so haßerfüllt anstarrte. Es erinnerte mich an die unzähligen Male, an denen sie mich ungerechterweise geschlagen hatte.
»Ja, ich hör’ dich schon, du mit deiner großen Klappe!«
»Was sagst du da?«
»Ich sagte, du mit deiner großen Klappe!«
»Was?« kam es lauter, fordernder.
»Kitty mit der großen Klappe. Kitty, die ihren Mann jede Nacht so laut anfährt, daß es durch die Wände hallt.«
Aber sie hörte mir überhaupt nicht zu. Was ich in der Hand hielt, nahm ihre ganze Aufmerksamkeit gefangen. »Was hast’n da im Arm? Hab’ dich erwischt, was? Liegst auf der Seite, wie ich’s dir schon tausendmal verboten hab’.«
Sie riß mir die Puppe aus den Armen, knipste schnell alle Lichter im Zimmer an und starrte auf die Puppe. Mit einem Satz stürzte ich aus dem Bett, um meine Puppe zu retten.
»Sie ist’s! Sie!« gellte Kittys Stimme, und dabei schleuderte sie mein ein und alles, mein unersetzliches Erbe gegen die Wand. »Lukes verdammter Engel!«
Ich eilte zu meiner Puppe, dabei stolperte ich fast; ich hatte ganz vergessen, daß ich Sandalen mit hohen Absätzen trug. Gott sei Dank, es war ihr nichts geschehen, nur der Brautschleier war verrutscht.
»Gibt das Ding her!« befahl Kitty und schritt auf mich zu, um mir die Puppe zu entreißen. Beim Anblick meines Kleides hielt sie jedoch wieder inne, und ihre Augen wanderten argwöhnisch über meine Nylonstrümpfe und meine Silbersandalen. »Wo haste da Kleid und die Schuhe her?«
»Ich dekoriere Torten und verkauf sie den Nachbarn, zwanzig Dollar das Stück«, log ich, wütend und empört darüber, daß sie meine Puppe gegen die Wand geschleudert hatte, um mir das Wertvollste auf der Welt zu zerstören.
»Lüg mich nicht an, und red nicht so blöd daher! Und gib mir sofort die Puppe.«
»Nein! Du bekommst sie nicht.«
Sie starrte mich entgeistert an; die Tatsache, daß ich es gewagt hatte, ihr zu widersprechen, verdutzte sie. »Du kannst nicht ungestraft nein zu mir sagen, du
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