Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Tom sprang mit seiner ganzen Kleidung in den Fluß, nachdem er sich zuvor die Turnschuhe ausgezogen hatte. Ich ließ mich am Ufer auf das Gras niederplumpsen. Unsere-Jane kuschelte sich an meine Seite, Keith beobachtete ein Eichhörnchen, das ganz oben auf einem Ast saß. Gedankenverloren sagte ich zu Tom, der im Wasser planschte: »Ich wünschte mir, daß ich aschblondes Haar hätte«, doch biß ich mir gleich auf die Zunge, als ich sah, wie Tom mich daraufhin ansah. Er schüttelte den Kopf wie ein Hund, daß das Wasser nur so spritzte. Glücklicherweise war Fanny weit hinter uns zurückgeblieben. Wir konnten von fern ihr Trällern und Kichern über die Hügel und durch den Wald hören.
»Heavenly, weißt du es also doch?« fragte mich Tom stockend.
»Was soll ich wissen?«
»Warum willst du aschblondes Haar haben, wenn es deine Haare doch auch tun?«
»Ach, nur so ein verrückter Gedanke von mir.«
»Moment mal, Heavenly. Wenn wir beide Freunde bleiben wollen, mehr noch als Bruder und Schwester, dann mußt du offen und ehrlich sein. Weißt du’s, oder weißt du’s nicht, wer aschblonde Haare hatte?«
»Weißt du es?«
»Natürlich.« Er stieg aus dem Wasser, und wir gingen zusammen in Richtung Hütte. »Hab’s immer schon gewußt«, sagte er sanft, »vom ersten Schultag an. Die Jungen im Aufenthaltsraum haben mir von Vaters erster Frau aus Boston mit ihren langen aschblonden Haaren erzählt. Und wie alle gleich wußten, daß sie in den Bergen nicht überleben wird. Hab’ immer gehofft, daß du’s nicht erfährst, weil du mich dann nicht mehr so toll finden würdest. Ich hab’ nämlich kein Blut aus Boston in mir, keine reichen, kultivierten, vornehmen Ahnen – so wie du. Hab’ hundertprozentige dumpfe Hillbilly-Gene, egal was du und Miß Deale von mir denken.«
Es tat mir weh, ihn so sprechen zu hören. »Hör auf, so zu reden, Thomas Luke Casteel! Erinnere dich, was Miß Deale neulich zu diesem Thema gesagt hat. Die intelligentesten Eltern können ein schwachsinniges Kind auf die Welt bringen – und schwachsinnige Eltern können ein Genie als Kind haben. Hat sie nicht auch gesagt, daß die Natur selbst für einen gerechten Ausgleich sorgt? Erinnere dich doch daran, was sie darüber gesagt hat, daß nichts in der Natur voraussagbar ist. Der einzige Grund, weshalb du nicht so viele Einser bekommst wie ich, ist, daß du zu oft die Schule schwänzt! Du mußt weiter an Miß Deales Ausspruch glauben, daß wir alle einmalige Geschöpfe sind, zu einem bestimmten Zweck geboren, den nur wir selbst erfüllen können. Denk daran, Thomas Luke.«
»Und denk du auch daran«, sagte er rauh und sah mich streng an, »und hör auf in der Nacht zu weinen, weil du anders sein willst. Gefällst mir so, wie du bist.« Seine grünen Augen glänzten sanft im Schatten des Kiefernwaldes. »Du bist meine schöne, dunkelhaarige Schwester, die mir zehnmal wichtiger ist als meine richtige Schwester Fanny, die sich keinen Deut um andere kümmert. Sie liebt mich nicht wie du, und ich kann sie nicht so lieben wie dich, Heavenly. Du und ich, wir gehören zusammen. Du weißt schon, wie sie’s in den Büchern schreiben; durch dick und dünn, durch Sturm und Wind – und durch die dunkle Nacht.«
»Das sagt man doch von der Post, du Dummer«, erklärte ich ihm lachend. Tränen standen mir in den Augen, ich nahm seine Hand und drückte sie. »Laß uns einen Eid schwören, daß wir niemals auseinandergehen werden, so wahr uns Gott helfe.«
Er nahm mich zart in seine Arme, als wäre ich aus zerbrechlichem Glas. »Du wirst eines Tages heiraten, du behauptest zwar immer das Gegenteil, aber Logan Stonewell macht schon Stielaugen nach dir«, sagte er mit belegter Stimme.
»Wie kann er mich lieben, wenn er mich nicht einmal kennt!«
Er schmiegte seinen Kopf an mein Haar. »Er braucht dich nur anzusehen – dein Gesicht, deine Haare –, das genügt. Alles, was du bist, steht dir ins Gesicht geschrieben und leuchtet aus deinen Augen.«
Ich löste mich aus seiner Umarmung und wischte mir die Tränen weg. »Merkwürdig, Vater sieht nie, was du siehst!«
»Warum läßt du es zu, daß er dich so verletzt?«
»Ach, Tom…!« schluchzte ich und fiel ihm in die Arme. »Wie soll ich jemals meiner sicher sein, wenn mein eigener Vater mich nicht ansehen kann? Er muß etwas Böses in mir sehen, daß er meinen Anblick so verabscheut.«
Er streichelte mir über die Haare und über den Rücken, und die Tränen standen ihm in den Augen, als wäre
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