Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
dafür er um so mehr. Es war wunderbar aufregend. Kaum war ich jedoch zu Hause, verflog meine freudige Erregung durch Sarahs tobende Leidensausbrüche.
An diesem Samstag schien die Sonne etwas heller, freundlicher und wärmer. Tom und ich waren bestrebt, dem bitteren Haß Sarahs, die in übelster Laune war, zu entgehen. Wir trafen uns mit Logan. Zu diesem Treffen hatten wir auch Unsere-Jane und Keith mitgenommen. Wir verstanden uns sehr gut und bemühten uns, Keith und Unsere-Jane die Zeit zu vertreiben.
Kaum waren wir am Fluß angelangt, wo wir angeln wollten, erscholl in den Bergen Sarahs Gebrüll. Sie rief mich zurück. »Auf Wiedersehen, Logan!« sagte ich nervös. »Ich muß zu Sarah zurück; vielleicht braucht sie mich! Tom, bleib du hier und paß auf Keith und Unsere-Jane auf.«
Ich sah Logans Enttäuschung, als ich davonstob, um Sarahs Befehl nachzukommen, die Wäsche zu waschen, statt meine Zeit mit einem Jungen aus dem Tal zu vergeuden, der sowieso nichts taugte und mir mein Leben ruinieren würde. Mit schlechtem Gewissen stellte ich den Waschtrog auf die Bank, schleppte das heiße Wasser vom Ofen dorthin und fing auf dem alten Waschbrett zu schrubben an.
Am nächsten Tag lief Sarah wieder ständig auf und ab und murmelte immer das gleiche vor sich hin. »Muß hier raus, muß raus aus dieser Hölle hier. Nichts als arbeiten, schlafen, und warten und warten auf ihn – und wenn er kommt, keine Freude, keine Zufriedenheit, nichts.«
Das sagte sie tausendmal, trotzdem blieb sie.
Dann kam der Tag, vor dem wir uns alle gefürchtet hatten. Es fing Sonntag früh an, ich setzte gerade Wasser auf, damit wir uns vor dem Gottesdienst noch schnell waschen konnten. Vom Schlafzimmer ertönten gellende, schmerzerfüllte Schreie. »Annie, es kommt, Annie, es kommt, Lukes schwarzhaariger Sohn kommt!«
Großmutter bewegte sich schwerfällig, ihre Beine taten weh, sie war kurzatmig und brauchte meine Unterstützung. Von dem Augenblick an, als die Wehen eingesetzt hatten, ahnte sie, daß diese Geburt anders und schwieriger als die vorangegangenen verlaufen würde. Tom rannte hinaus, um Vater zu suchen, während Großvater sich widerwillig von seinem Schaukelstuhl erhob und zum Fluß ging. Ich befahl Fanny, auf Keith und Unsere-Jane aufzupassen, aber sich nicht zu weit von der Hütte zu entfernen. Großmutter und Sarah brauchten meine Hilfe. Die Wehen dauerten viel länger als bei Unserer-Jane und den anderen Kindern, die ebenfalls in diesem Bett zur Welt gekommen waren. Erschöpft fiel Großmutter auf einen Stuhl und gab stockend ihre Anleitungen, während ich das Wasser heiß machte, in dem das Messer sterilisiert werden sollte, bevor ich die Nabelschnur durchtrennte. Ich bemühte mich, das Blut, das wie ein roter Todesfluß aus Sarah quoll, zu stillen.
Endlich, nach vielen Stunden, währenddessen Vater im Hof mit Großvater, Tom, Keith und Unserer-Jane wartete – Fanny blieb unauffindbar –, kam schließlich unter qualvollen Schmerzen das Baby zur Welt. Sarahs Gesicht war kalkweiß. Es war ein kleines, eigenartig stilles und befremdend aussehendes Baby.
»Junge… Mädchen?« keuchte Großmutter mit schwacher Stimme. »Sag, Kind, ist es nu’ Lukes Sohn und sein Ebenbild?«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
Sarah stützte sich auf, um nachzusehen. Sie starrte unentwegt vor sich hin und versuchte, ihre schweißnassen Haare aus dem Gesicht zu streichen. Ich trug das Baby vorsichtig zu Großmutter hinüber, damit sie sein Geschlecht bestimmen konnte.
Großmutter sah dort nach, wo die Geschlechtsteile sich hätten befinden müssen – aber weder sie noch ich entdeckten irgend etwas.
Ich traute meinen Augen nicht. Es war entsetzlich, ein Baby zu sehen, das nichts zwischen seinen Beinen hatte. Aber was machte es schon, daß dieses Kind weder Junge noch Mädchen war, da es tot geboren war und ihm die eine Hälfte des Kopfes fehlte? Es war ein Monster-Kind, übersät mit eiternden Wunden.
»Tot!« schrie Sarah. Sie sprang aus dem Bett und riß mir das Kind aus den Armen. Innig schloß sie es in die Arme und küßte sein armes, halbes Gesicht dutzend Mal und mehr, bevor sie ihren Kopf nach hinten warf und heulend ihren Schmerz hervorstieß, wie die Wölfe in den Bergen, die den Mond anjaulen.
»Luke und seine verdammten Huren!« Völlig außer sich rannte sie wie eine Furie zu Vater, der draußen saß, und schob ihm das Kind in die Arme. Geübt nahm er es auf, dann starrte er es ungläubig und voller Entsetzen
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