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Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser

Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser

Titel: Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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da.
    Vermutlich befand er sich völlig betrunken in »Shirley’s Place«, während sein jüngstes Kind und seine Mutter begraben wurden. Reverend Wayland Wise, neben dem seine Frau Rosalyn mit unbewegtem Gesicht stand, sprach die letzten Worte für die alte Frau, die alle gemocht und sogar geachtet hatten.
    »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen«, begann der Reverend. Er hob sein Gesicht zur Sonne. »Herr, erhöre mein Gebet. Nimm diese Frau, Mutter, Großmutter und aufrechte Gläubige sowie diese kleine Seele zu dir – öffnet euch, ihr Himmelstüren, öffnet euch weit! Nimm diese Christin zu dir, Herr, und das Kind, denn sie war ehrlich, einfach und gläubig, und das Kind war unschuldig und rein!«
    Wir wanderten, immer noch weinend, in einem langen Trauerzug nach Hause.
    Die Leute von den Bergen waren alle gekommen, um mit uns zu trauern und den Tod von Annie Brandywine Casteel, einer von ihnen, zu beklagen. Gemeinsam zogen sie mit uns nach Hause, wir sangen und beteten viele Stunden zusammen. Danach brachten die Männer den schwarzgebrannten Schnaps, die Gitarren, Banjos und Geigen und spielten eine fröhliche Melodie, während die Frauen Leckerbissen servierten.
    Am nächsten Tag ging ich wieder zum Friedhof und stand mit Tom vor Großmutters frischem Grab und vor dem winzigen Grab, das kaum einen halben Meter lang war. Mein Herz verkrampfte sich, als ich »Kind Casteel« in der Nähe meiner Mutter begraben sah. Ihr Grabstein hatte kein Datum.
    »Schau nicht hin«, flüsterte Tom. »Deine Mutter ist schon lange tot. Es ist Großmutter, die wir vermissen werden. Wußt’ gar nicht, wie wichtig sie in unserem Leben war, bis ich ihren leeren Schaukelstuhl gesehen hab. Hast du’s gewußt?«
    »Nein«, flüsterte ich betroffen. »Ich habe ihre Gegenwart einfach hingenommen, als würde sie ewig leben. Wir müssen uns jetzt mehr um Großvater kümmern, er sieht so verloren und einsam aus.«
    »Ja«, stimmte mir Tom zu. Er nahm mich bei der Hand und führte mich von diesem traurigen, kalten Ort weg.
     
     
    Eine Woche später kam Vater nach Hause. Er sah nüchtern und sehr ernst aus. Er stieß Sarah auf einen Stuhl, zog einen zweiten herbei und begann mit angespannter Stimme zu sprechen, während Tom und ich vor dem Fenster lauschten. »Bin in der Stadt zum Arzt gegangen, Sarah. Da war ich jetzt die ganze Zeit. Er hat mir gesagt, daß ich krank bin, sehr krank. Hat mir gesagt, daß ich alle mit meiner Krankheit anstecke und daß ich meine Lebensweise ändern müßte, sonst würde ich verrückt werden und vorzeitig sterben. Hat mir auch gesagt, dürft’ kein’ Geschlechtsverkehr mehr mit einer Frau haben, nicht mal mit meiner eigenen. Ich brauch’ Spritzen, sagte er mir, die mich kurieren können, aber wir haben nicht das Geld dafür.«
    »Was hast du?« fragte Sarah mit kalter Stimme.
    »Hab’ die Syphilis im ersten Stadium«, gestand Vater. Seine Stimme klang hohl. »War nicht deine Schuld, daß du das Baby verloren hast, es war meine. Und ich sag’s nur einmal, hier und jetzt: Ich entschuldige mich.«
    »Zu spät, sich zu entschuldigen!« schrie Sarah. »Zu spät, um mein Baby zu retten! Hast deine Mutter umgebracht, als du mein letztes Kleines getötet hast! Hörst du? Deine Mutter ist tot!«
    Obwohl ich meinen Vater haßte, war sogar ich entsetzt, wie Sarah das herausgeschrien hatte; wenn Vater irgend jemanden, außer sich selbst, geliebt hatte, dann war es Großmutter gewesen. Ich hörte, wie er nach Luft rang, es klang wie ein Röcheln. Dann ließ er sich so schwer auf den Stuhl zurückfallen, daß ich meinte, er würde zusammenbrechen.
    »Du mußtest ja deinen Spaß haben, während ich die ganze Zeit hier gehockt und gehofft hab’, du hättest auch mal Sehnsucht nach mir. Ich hasse dich, Luke Casteel! Und ich hass’ dich noch mehr, weil du eine Tote nicht vergessen kannst, von der du sowieso von Anfang an die Finger hättest lassen sollen!«
    »Du läßt mich also im Stich?« fragte er bitter. »Jetzt, wo meine Mutter unter der Erde liegt und ich krank bin?«
    »Hast’s verdammt gut erraten!« schrie sie ihn an, sprang auf und fing an, seine Kleidung in einen Karton zu schmeißen. »Hier hast du deine verrotteten und verstunkenen Klamotten. Hau ab! Hau ab, bevor du uns noch alle mit deiner vermaledeiten Krankheit ansteckst! Will dich nie wieder sehen! Nie wieder!«
    Er erhob sich, scheinbar getroffen, und sah sich in der Hütte um, als würde er sie zum letzten Mal vor sich sehen. Ich

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