Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Unterwäsche war ebenfalls kostbar: Ein winziger Büstenhalter umschloß die kleinen, harten Brüste, und sie hatte einen deutlich sichtbaren Spalt zwischen den Schenkeln, dort wo die meisten Puppen geschlechtslos waren.
Warum war diese Puppe anders und realistischer gemacht?
Dies war das Geheimnis meiner Mutter und ihrer Puppe. Welche Bedeutung hatte diese Puppe in ihrem Leben gehabt? Ich würde es eines Tages herausfinden. Ich küßte ihr kleines Gesicht und studierte ganz aus der Nähe ihre kornblumenblauen Augen. Dabei entdeckte ich winzige grüngraue und violette Pünktchen darin, wie sie auch meine Augen aufwiesen. Die Puppe hatte die gleichen Augen wie ich!
Am nächsten Tag in der Frühe – Fanny war bei einer Freundin, und Tom brachte Keith und Unserer-Jane bei, wie man besser angelt – erinnerte ich mich an Großmutters Erzählung, wie Vater nach dem Tod meiner Mutter alles, was ihr gehört hatte, mit dem Beil vernichten wollte und Großmutter den Koffer schnell vor ihm versteckt hatte. Er war meine einzige Verbindung zur Vergangenheit. Vater würde niemals so mit mir reden wie Großmutter. Und Großvater hatte sicherlich das Mädchen, das sein Sohn Engel genannt hatte, nicht einmal bemerkt.
»Ach«, seufzte ich, als Tom hereinkam. »Schau mal her, Tom, Großmutter hat mir erzählt, daß diese Puppe hier meiner Mutter gehört hat. Es ist eine Puppenbraut, die so aussieht wie sie, als sie noch ein Mädchen war und so alt wie ich. Sieh mal, was auf ihrer Fußsohle steht.« Nachdem ich sie bis auf Strümpfe und Schuhe wieder anständig angezogen hatte, hielt ich sie ihm so hin, daß er es lesen konnte:
A Tatterton Original Portrait Doll
»Zieh ihr Strümpfe und Schuhe an und versteck sie schnell«, flüsterte Tom. »Fanny kommt grad mit Keith und Unserer-Jane. Für mich hat sie ganz genau dein Gesicht. Fanny soll so was Schönes nicht kaputt machen.«
»Bist du denn gar nicht überrascht?«
»Schon. Aber ich hab’ sie schon vor langer Zeit entdeckt und sie wieder zurückgelegt, wie’s mir Großmutter angewiesen hat… Also schnell, bevor Fanny kommt.«
So schnell ich konnte, zog ich ihr hastig Strümpfe und Schuhe über, wickelte den Koffer gerade noch rechtzeitig in die schmutzige alte Decke ein, und dann erst wischte ich mir die Tränen von den Wangen.
»Heulst du immer noch wegen Großmutter?« fragte Fanny, die es fertigbrachte, eine Sekunde zu trauern und in der nächsten zu lachen. »Geht ihr bestimmt besser jetzt, als hier den ganzen Tag rumzusitzen, Schmerzen zu haben und zu jammern. Überall ist es besser als hier.«
Meine Puppe half mir über vieles hinweg, über Sarahs schlechte Launen und Ungerechtigkeiten, über Vaters Krankheit und über die Tatsache, daß ich Logan schon seit einer Woche nicht gesehen hatte. Warum wartete er nicht mehr, um mich nach Hause zu begleiten? Warum war er nicht gekommen, um mir zu sagen, daß es ihm wegen Großmutter leid tat? Warum gingen er und seine Eltern nicht mehr in die Kirche? Was für eine komische Art Liebe zeigte er nun, nachdem er mich geküßt hatte?
Schließlich kam ich dahinter. Seine Eltern mußten von Vaters Krankheit erfahren haben, und sie wollten nicht, daß ihr einziger, hoffnungsvoller Sohn so ein Berggesindel wie mich besuchte. Ich war nicht gut genug für ihn, auch wenn ich nicht die Syphilis hatte.
Weg mit diesen Gedanken. Lieber dachte ich an die Puppe und an das Geheimnis, warum meine Mutter in ihrem Alter noch eine Puppe haben wollte, die ihr ähnlich sah.
Am nächsten Tag tauchte Logan neben meinem Schulspind auf. Seine Augen lächelten mich an, obwohl sein Mund zusammengepreßt blieb. »Hast du mich vermißt, als ich diese Woche weg war? Ich wollte dir noch sagen, daß meine Großmutter krank geworden ist und wir hingeflogen sind, um zu sehen, wie es ihr geht. Aber es war keine Zeit mehr vor dem Abflug.«
Ich sah ihn mit großen, nachdenklichen Augen an. »Und wie geht es deiner Großmutter jetzt?«
»Gut. Sie hat einen kleinen Schlaganfall gehabt, aber bei unserer Abfahrt schien sie sich schon viel besser zu fühlen.«
»Wie schön«, sagte ich mit halberstickter Stimme.
»Was habe ich Falsches gesagt? Ich weiß, daß irgend etwas gewesen ist! Heaven, haben wir uns nicht gegenseitig geschworen, immer ehrlich zueinander zu sein? Warum weinst du denn?«
Ich senkte den Kopf, und ich erzählte ihm von Großmutter, und er fand die richtigen Worte, mich zu trösten. Ich weinte an seiner Schulter, und als wir den
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