Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
dich hören kann.«
»Bist nicht wie deine Schwester Fanny!« schrie der Junge. »Aber die wird ‘ne Nutte, das weiß die ganze Stadt.«
Fanny stürzte sich auf ihn und versetzte ihm einige Fußtritte, während die anderen lachten. Jetzt erst ließ Logan den Arm des Jungen los, drehte ihn um und gab ihm einen Kinnhaken. Sofort hörten alle auf zu schreien und starrten auf das bewußtlose Gesicht des Jungen, während Logan aufstand, sich die Kleider säuberte und alle Anwesenden – außer Tom und mir – wütend anstarrte.
Plötzlich ließen sie alle mich, Tom und Fanny allein zurück, während Keith und Unsere-Jane weiter auf der Schaukel spielten und den Kampf gar nicht beachtet hatten. Tom eilte auf Logan zu und klopfte ihm auf die Schultern. »Mensch, warst verdammt gut, richtig gut! Deine Rechte war erstklassig! Die Beinstellung hast du auch richtig hingekriegt… Ich hätt’s selber auch nicht besser gekonnt.«
»Danke für das Training«, murmelte Logan, der etwas benebelt und sehr erschöpft aussah. »Wenn es euch nichts ausmacht, gehe ich ins Schulgebäude und wasche mich etwas. Wenn ich so nach Hause komme, wird meine Mutter ohnmächtig.« Er lächelte mir zu. »Heaven, willst du auf mich warten?«
»Natürlich.« Ich starrte auf seine blutunterlaufenen Flecken und sein blaues Auge. »Danke, daß du meine Ehre verteidigt hast…«
»Nicht deine, unsere, du Gans!« schrie Fanny. Dann, mir blieb fast das Herz stehen, stürzte sie auf Logan zu, umarmte ihn und küßte ihn auf die geschwollenen und blutenden Lippen.
Eigentlich hätte ich das tun sollen.
Logan lief ins Schulhaus, Tom packte Fanny am Arm, rief Keith und Unsere-Jane und schlug den Weg zu unserem Trampelpfad ein. Ich stand jetzt allein im Schulhof und wartete, bis Logan aus dem Umkleideraum der Jungen wieder herauskam.
Ich setzte mich auf die Schaukel, die Unsere-Jane benutzt hatte, und schaukelte immer höher und höher, bog meinen Oberkörper so weit nach hinten, daß meine Haare fast auf dem Boden schleiften. Seit Großmutters Tod hatte ich mich nicht mehr so glücklich gefühlt. Ich schloß die Augen und schaukelte noch höher.
»He… du da oben, komm runter, ich möchte dich noch nach Hause bringen, bevor es dunkel wird, und mich mit dir unterhalten.«
Als ich die Schaukel langsam zum Stehen gebracht hatte, sah ich, daß Logan jetzt etwas sauberer und weniger zerzaust aussah. »Bist du ernstlich verletzt?« fragte ich besorgt.
»Nein, nicht weiter schlimm.« Er sah mich mit einem Auge an. »Würde es dir was ausmachen, wenn ich es wäre?«
»Natürlich.«
»Warum?«
»Ich weiß nicht, warum. Aber du hast mich dein Mädchen genannt. Stimmt das, Logan?«
»Wenn ich es gesagt habe, dann muß es auch stimmen. Es sei denn, du hättest etwas dagegen.«
Ich hatte wieder festen Boden unter den Füßen, und er nahm mich bei der Hand und zog mich sanft zum Waldpfad.
Winnerrow besaß nur eine Hauptstraße, von der aus alle anderen Straßen abgingen. Die Schule stand zwar mitten im Städtchen, aber die Bergkette schien unmittelbar dahinter emporzuragen. Auch das Städtchen entkam den »Willies« nicht. »Du hast mir noch nicht geantwortet«, drängte Logan, als wir eine Viertelstunde nebeneinander gegangen waren, Hand in Hand, ohne ein Wort, nur gelegentlich ein Blick.
»Wo warst du voriges Wochenende?«
»Meine Eltern wollten sich das College ansehen, wo ich studieren werde. Ich wollte dich anrufen, aber du hast kein Telefon, und ich hatte keine Zeit mehr, zu dir zu gehen.«
Wieder diese Geschichte. Seine Eltern wollten nicht, daß er mich besuchte, sonst hätte er sich die Zeit nehmen können. Ich blieb stehen, legte meine Arme um seine Hüfte und drückte meine Stirn gegen sein schmutziges, zerrissenes Hemd. »Es ist schön, deine Freundin zu sein, aber ich muß dich warnen. Ich möchte erst dann heiraten, wenn aus mir eine selbständige Persönlichkeit geworden ist, und ich die Chance gehabt habe, zu leben und etwas aus mir zu machen. Ich will, daß mein Name nach meinem Tod etwas bedeutet!«
»Suchst du Unsterblichkeit?« zog er mich auf, dabei drückte er mich fester an sich und verbarg sein Gesicht in meinen Haaren.
»So was ähnliches. Weißt du, Logan, es ist einmal ein Psychologe in unsere Schule gekommen, und der hat uns erzählt, daß es drei Sorten von Menschen gibt: Erstens, solche, die anderen dienen. Zweitens, solche, die der Welt etwas geben, indem sie die erzeugen, die anderen dienen. Drittens gibt es Menschen,
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