Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Fäuste drohend gegen die Decke hob. »Wenn ich sie find’, dreh’ ich ihr den Hals um oder schneid’ ihr das Herz aus’m Leib – wenn ich sie find’. Einfach abzuhauen, wenn keine Frau sonst da ist, kleine Kinder einfach alleine lassen – zum Teufel mit dir, Sarah, das hätte ich nicht von dir erwartet!«
Wie der Blitz war er aus der Tür draußen. Ich dachte schon, er würde hier und jetzt Sarah suchen und sie töten, aber nach einigen Minuten war er wieder zurück und warf weitere Lebensmittel auf unseren Tisch. Er brachte zwei Säcke voll Mehl, Salz, Speck, Bohnen, getrocknete Erbsen, eine große Dose Fett, Spinat, Äpfel, Kartoffeln, Orangen, Reisbeutel und vieles mehr, was wir noch niemals besessen hatten, Kekse zum Beispiel und Schokoladenplätzchen, Erdnußbutter und Grapefruitmarmelade.
Unser Tisch bog sich unter den Vorräten, die ein Jahr lang zu reichen schienen. Als er alles ausgebreitet hatte, wandte er sich uns zu, ohne einen von uns direkt anzusprechen.
»Tut mir leid, daß eure Großmutter tot ist. Tut mir noch viel mehr leid, daß eure Mutter mich hat sitzenlassen, das heißt, euch alle auch. Bestimmt bereut sie’s, daß sie euch weh getan hat, nur um mir eins auszuwischen.« Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr.
»Ich verschwind’ wieder und komm’ erst zurück, wenn ich von meiner Krankheit geheilt bin. Bin schon fast gesund und würd’ gern hierbleiben und auf euch aufpassen. Aber das wär’ zu gefährlich für euch. Außerdem hab ich ‘n Job, der für meine Lage geeignet ist. Also, geht sparsam mit’m Essen um. Ich bring’ erst wieder was, wenn ich ganz auskuriert bin.«
Entsetzt wollte ich aufschreien und ihm sagen, daß er nicht fortgehen sollte, weil wir den Rest des bitterkalten Herbstes – und schon gar nicht den Winter – ohne ihn nicht überleben könnten.
»Hat keiner von euch ‘ne Ahnung, wo sie hingegangen ist?«
»Vater!« weinte Fanny und wollte sich in seine Arme werfen, aber er wies sie mit erhobener Hand ab.
»Berühr mich nicht«, warnte er sie. »Weiß selber nicht genau, was ich hab’, aber es ist ‘ne verdammt ekelhafte Sache. Seht ihr, ‘n Mann hat das Ganze hier für mich in die Säcke verstaut. Verbrennt sie, wenn ich fort bin. Hab ‘n Kumpel, der Sarah für mich sucht und sie dazu bringen wird, zurückzukommen. Haltet durch, bis sie wieder da ist oder ich… haltet durch.«
So grausam und gemein er auch manchmal sein konnte, so hatte er doch lange genug gearbeitet und illegalen Schnaps verkauft, um uns von dem Geld mit Grundnahrungsmitteln versorgen zu können und uns zusätzlich noch mit ein paar Leckerbissen zu verwöhnen.
Er hatte uns auch so viel Kleidung gebracht, daß wir, wenn auch notdürftig, so doch ausreichend warm angezogen waren.
Ich starrte jetzt nachdenklich auf den Haufen gebrauchter Wäsche, den Fanny gerade mit schrillen Begeisterungsschreien durchwühlte. Jacken und Röcke, Bluejeans für Tom und Keith, Unterwäsche für uns alle, fünf Paar Schuhe – obwohl er unsere jeweilige Größe erraten mußte. Trotzdem war ich dankbar für die schweren, häßlichen Jacken, die schon ziemlich abgetragen waren.
»Vater!« schrie Tom und rannte hinter ihm her. »Du darfst uns nicht allein lassen! Ich tu’, was ich kann, aber ‘s ist nicht leicht, wenn niemand in Winnerrow einem Casteel über ‘n Weg traut. Heavenly geht nicht mehr in die Schule – aber ich muß, Vater! Ich muß, oder ich verreck’ sonst! Vater, hörst du mich? Hörst du mich denn?«
Vater schritt einfach weiter und verschloß seine Ohren, um die traurigen Worte seines Sohnes, den er liebte, nicht zu hören. Und das Jammern und Schluchzen Fannys hat ihn bestimmt noch tagelang verfolgt. Aber seine Tochter namens Heaven flehte und jammerte nicht, noch wandte sie sich mit irgendeinem Wort an ihn. Ich fühlte, wie das Schicksal mit einer kalten Hand mir das Herz nahezu zuschnürte. Ich war allein, so wie ich es in meinem Alptraum immer erlebt hatte.
Allein in der Hütte. Ohne meine Eltern. Und ohne die Möglichkeit, uns durchzubringen.
Allein, wenn der Wind heulte, wenn es schneite, wenn der Pfad hinunter ins Tal unter Eis und Schnee verschwand.
Wir hatten keine Schneestiefel, Mäntel, keine Skier, nichts, was uns den Weg ins Tal, in die Schule, in die Kirche erleichtert hätte. Die vielen Nahrungsmittel, die auf dem Tisch aufgehäuft lagen, würden wohl bald alle sein. Und was kam dann?
Vater stand bei seinem Lieferwagen und sah jeden von uns eindringlich
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