Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
und Miß Deale kümmert sich auch um mich, und die ganze Welt wird sich um dich kümmern, wenn sie erfährt, was du angestellt hast, Luke Casteel!«
»Danke für die Warnung«, sagte er höhnisch. »Hab’ schon richtig Angst.«
Danach war es noch schlimmer, und er beobachtete mich noch genauer.
Ich hoffte und betete, daß Logan Fanny traf und sie ihm alles erzählen würde und daß Logan etwas unternehmen würde, bevor es zu spät war. Zugleich aber hegte ich den Verdacht, daß Vater dem Reverend geraten hatte, Fanny im Haus zu behalten, bis er mich losgeworden war.
Ich hatte in der Zeitung über adoptierte Kinder gelesen, die für zehntausend Dollar verkauft worden waren. Vater war also zudem noch so dumm gewesen und hatte nicht mehr verlangt. Aber die fünfmal fünfhundert Dollar waren mehr Geld, als er je in seinem Leben besessen hatte. Es war ein Vermögen für einen Hillbilly, der nicht bis Tausend zählen konnte.
»Vater«, sagte ich am zehnten Tag, nachdem Tom fort war, »wie kannst du nur dein ganzes Leben lang jeden Sonntag in die Kirche gehen und dann so etwas tun?«
»Halt den Mund«, fuhr er mich an, und seine Augen waren so hart wie Kieselsteine.
»Ich will aber nicht den Mund halten!« brauste ich auf. »Ich will meine Brüder und Schwestern zurückhaben! Du mußt dich nicht um uns kümmern. Tom und ich haben schon Mittel und Wege gefunden, uns allein durchzubringen.«
»Halt den Mund!«
Oh, ich hasse dich, tobte eine wilde Stimme in mir, auch wenn mich mein Instinkt warnte, daß ich hart bestraft werden würde, wenn ich nicht schwieg.
»Andere verkaufen auch ihre Kinder«, sagte er plötzlich. Ich war überrascht, daß er redete – und noch dazu mit mir –, als wollte er sich rechtfertigen. Ich hatte angenommen, daß er zu so etwas gar nicht imstande war. »Bin nicht der erste, der’s tut, und werd’ auch nicht der letzte sein. Spricht keiner drüber, aber es passiert die ganze Zeit. Arme Leute wie wir haben mehr Kinder als die reichen, die sich’s leisten könnten. Wir können sie uns nicht leisten, aber wir haben meistens keine Ahnung, wie man sie verhüten kann… Und wenn’s in kalten Winternächten nichts Besseres zu tun gibt, als mit der Frau ins Bett zu gehen und sich mit ihr zu vergnügen… dann machen wir unsere Goldminen, unsere Kinder, die hübschen Kleinen. Warum also nicht Profit aus der Natur schlagen?«
Ich konnte mich nicht erinnern, daß er jemals so viel zu mir gesprochen hatte. Er war jetzt wirklich wieder gesund, sah nicht mehr eingefallen und fahl aus, und seine Wangen hatten eine gesunde Farbe bekommen. Er hatte starke, hohe Wangenknochen und ein verdammt gutaussehendes Gesicht! Würde es mir leid tun, wenn er starb? Nein, sagte ich mir, nicht in zehntausend Jahren.
Es war spät in der Nacht, als ich ihn mit Großvater reden hörte: Er war sehr deprimiert und sprach über sein verpfuschtes Leben und wie ihn seine Kinder davon abhielten, das zu tun, was er sich vorgenommen hatte. »Wenn ich das Geld hab’, Vater, dann wird es nicht zu spät sein. Ich werd’ das tun, was ich immer wollte und längst schon getan hätt’… für sie … und meine Kinder…«
In dieser Nacht hörte ich auf zu weinen. Tränen halfen nichts.
Ich betete nicht mehr, daß ich meine Brüder und Schwestern wiedersehen würde, ich machte mir keine Hoffnungen mehr, daß Logan mich retten könnte. Ich rechnete nicht mehr mit einer guten Wendung meines Schicksals. Auch Miß Deale konnte mich nicht retten; ihre Mutter war vielleicht gestorben, und die Rechtsanwälte hielten sie nun zurück. Ich mußte selbst meine Flucht in die Hand nehmen.
Am Sonntag schien die Sonne. Vater befahl mir, mein bestes Kleid anzuziehen – falls ich eines übrig hätte. Ich glaubte, er habe einen Käufer für mich gefunden, und mein Herz tat einen Sprung. In seinen harten Augen lag Spott, »‘s ist Sonntag, Mädchen, Zeit, in die Kirche zu gehen«, sagte er, als ob nicht schon viele Sonntage vergangen waren, ohne daß die Casteels in der Kirche aufgetaucht wären.
Bei dem Wort »Kirche« hellte sich Großvaters Miene auf. Mit steifen Gelenken und viel Ächzen und Stöhnen gelang es ihm, sich halbwegs ordentlich anzuziehen, und bald hatten wir uns für den Weg nach Winnerrow fertig gemacht.
Die Glocken der Kirche erklangen hell und klar. Sie gaben mir die Illusion der inneren Ruhe und das unbegründete Gefühl, daß Gott im Himmel und die Welt in Ordnung sei, solange die Kirche stand und die Glocken
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