Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
haben!«
Der schmutzige, alte Lastwagen fuhr los, auf die holprige Straße zu. Ich war allein mit Vater und Großvater. Vater ließ mich los, und in einem Zustand hoffnungsloser Verzweiflung sank ich zu Boden.
Ich ahnte schon, was Tom bevorstand.
Keine Schulausbildung mehr, kein Jagen und Fischen, kein Baseball-Spiel oder Herumtoben mit seinen Kameraden, nur Arbeit, Arbeit und nichts als Arbeit.
Der begabte Tom würde seine Hoffnungen und Träume auf einer Kuhweide begraben müssen und das Leben eines Farmers fristen – ein Leben, von dem er immer gesagt hatte, daß er es nicht ausstehen könnte.
Mein eigenes, ungewisses Schicksal versetzte mich jedoch in ebenso große Angst.
11. KAPITEL
I CH TREFFE MEINE W AHL
Tom war fort.
Nun hatte ich keine Menschenseele mehr, die mich liebte. Wer würde mich jemals wieder Heavenly nennen?
Tom nahm alles Lachen, alle Heiterkeit und Freude, all den Mut und Humor, womit er die grimmige Atmosphäre in der Hütte aufgelockert hatte, mit sich. Die heitere Seite meines Gemüts verschwand mit dem lehmbespritzten Lastwagen, dessen Nummernschild so verdreckt gewesen war, daß ich es nicht entziffern konnte – obwohl ich mich anstrengte. Ich war dumm gewesen, als ich glaubte, ich sei allein und verlassen, als Keith und Unsere-Jane fortgingen. Jetzt war ich wirklich allein, ich, das einzige Kind, das Vater haßte.
Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ich auch das einzige Kind war, das irgend etwas Nützliches für diesen Haushalt unternahm. Ich kochte, machte sauber und kümmerte mich um Großvater. Bestimmt hatte Vater nicht vor, Großvater hier ganz allein zurückzulassen…
Ich wollte, daß Vater ging; daß er die Tür hinter sich zuknallen, in den Lieferwagen springen und nach Winnerrow fahren würde – oder wo immer er sich jetzt aufhielt, da er nun nicht mehr zu »Shirley’s Place« gehen konnte.
Vater blieb.
Er ließ sich wie ein Wachhund vor unserer einzigen Tür nieder und gab mir zu verstehen, daß er so lange auf mich aufpassen würde, bis auch ich verkauft worden war.
Er sagte kein Wort, sondern hockte nur still und verdrossen da. Wenn die Nacht hereinbrach, rückte er seinen Stuhl näher an den Ofen, legte seine großen Füße darauf und starrte bedrückt ins Leere.
Nachdem Tom mit Buck Henry fortgefahren war, versuchte ich in den folgenden Tagen immer wieder allein zu fliehen, wann immer sich mir die Gelegenheit bot.
Ohne Tom, Keith und Unsere-Jane hatte ich jedoch nicht die Kraft und den Mut, irgendwohin zu gehen, um mich vor dem zu retten, was letzten Endes doch mein unentrinnbares Schicksal sein würde. Wenn ich Miß Deale nur einen Brief schreiben könnte. War sie schon zurück? Jede Nacht betete ich, daß Miß Deale oder Logan mich retteten.
Niemand kam.
Ich war das Kind, das Vater haßte, und er würde mich ganz üblen Leuten übergeben. Mich erwartete keine reiche Familie. Nicht einmal so jemand wie Buck Henry. Wahrscheinlich hatte er vor, mich der Madame in »Shirley’s Place« zu verkaufen.
Je mehr ich über mein Schicksal nachdachte, um so zorniger wurde ich. Er durfte so etwas nicht mit mir tun! Ich war kein Tier, das man verkaufte und dann vergaß. Ich war ein Mensch, mit einer unsterblichen Seele und dem unveräußerlichen Recht auf Leben, Freiheit und Glück. Miß Deale hatte mir das so oft gesagt, daß es sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt hatte. Es war dies der Geist, der in ihrer Klasse geherrscht hatte, und ein bitteres Lächeln verzog mein Gesicht, wenn ich daran dachte. Aber es war mir, als riefe er mir zu, ich solle ausharren, denn Miß Deale käme, um mich zu retten. Fast hörte ich, wie sie mir Mut zurief und ihre Stimme immer lauter und lauter wurde.
Beeilen Sie sich, Miß Deale, wollte ich herausschreien. Ich bin in Not, Miß Deale! Mein Stolz ist besiegt! Ich werde, ohne mich zu schämen, Ihre Hilfe annehmen! Bitte kommen Sie schnell und retten Sie mich, bevor es zu spät ist!
Ich betete, erhob mich von den Knien, ging zum Küchenschrank und schaute hinein. Trotz allem, das Leben ging weiter, und die Mahlzeiten mußten gekocht werden.
Hoffnung lag in Großvaters wäßrigen, blauen Augen, als er von einem seiner notwendigen Gänge mit noch mehr Ästen in der Hand zurückgekehrt war. Vorsichtig setzte er sich in den Schaukelstuhl. Er nahm sein Schnitzmesser nicht in die Hand, sondern richtete seine Augen auf mich. Verlaß mich nicht, baten seine Augen. Bleib, bettelten sie stumm, während er
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