Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
hatte! Es war beinahe, als ob er mich noch nie zuvor gesehen hätte.
Binnen zehn Minuten war Drake für die erste Klasse eingeschrieben.
»Kein Problem. Überhaupt kein Problem, Mrs. Stonewall«, wiederholte Mr. Meeks, als ich ihm sagte, warum ich dort war. »Wenn ein Kind frühreif ist, machen wir Ausnahmen, und wenn ich mir Drake ansehe, kann ich sofort sagen, daß er ein frühreifer junger Mann ist. Ich werde mich darum kümmern.«
Ich amüsierte mich über die Veränderung von Mr. Meeks. Es war zwar wahr, daß Ausnahmen gemacht wurden, aber sie wurden normalerweise auf der Grundlage von Tests gemacht und nicht anhand der Meinung eines Schulleiters, der auf das Kind nur einen kurzen Blick geworfen hatte. Mr. Meeks rief seine Sekretärin herein und veranlaßte sie, die nötigen Schritte einzuleiten. Danach führte er mich noch durch die Schule, wo ich ehemalige Kolleginnen und Kollegen wieder einmal begrüßen konnte. Dann begleitete er mich zum Parkplatz und hielt mir die Autotüre auf.
»Und berichten Sie Mr. Stonewall«, sagte er, »daß Mrs. Meeks und ich selbst uns glücklich schätzen, an den Eröffnungsfestivitäten für die Fabrik teilzunehmen.«
»Danke sehr«, sagte ich und wunderte mich sehr auf dem Heimweg. Logan war ein guter Manipulator geworden.
Ich fuhr zum Hasbrouck-Haus zurück, um Mrs. Avery zu begrüßen, eine fünfzigjährige Frau, die zwanzig Jahre lang Anthony Hasbroucks Haushälterin gewesen war. Ich fand, daß sie ein weiches, freundliches Gesicht hatte, und sah keinen Grund, sie nicht einzustellen. Eine Agentur für Personal schickte einen Butler vorbei, Gerald Wilson. Er war ein großer, ergrauender Mann in den späten Fünfzigern, ein wenig steif und formal. Er erinnerte mich an Curtis, aber ich sah auch bei ihm keinen Grund, ihn nicht zu engagieren. Am nächsten Tag kam unser Koch. Der Gedanke drängte sich mir auf, daß Logan Leute anstellte, die Tonys Angestellten ähnlich waren. Denn der Koch war ein Schwarzer, der sicher viel älter war, als er zu sein vorgab. Sein Name war Roland Star, seine Zähne waren so weiß wie Klaviertasten, und er hatte ein musikalisches Lachen.
Nachdem das Haus ausgestattet war, ging ich zu einem Innenarchitekten und begann einige Veränderungen im Eßzimmer, im Wohnzimmer, im Gästezimmer und in unserem Schlafzimmer zu planen. Das Kinderzimmer war fertig, und in der Küche wollte ich nichts ändern. Alle Sachen, die ich in Boston gekauft hatte, waren angekommen, und innerhalb von zwei Wochen war mein neues Zuhause, mein erstes richtiges Zuhause, eingerichtet.
An diesem Tag ging ich noch einmal von Zimmer zu Zimmer, um mir alles noch einmal anzusehen, was ich geschaffen hatte und von dem ich meinte, ich hätte es nach meinem Leiden verdient. Dabei bemerkte ich ein letztes Überbleibsel aus meiner Vergangenheit, das darauf wartete, verändert zu werden. Nachdem ich Drake an diesem Tag zur Schule gebracht hatte, fuhr ich direkt zum örtlichen Friseurladen, der von niemand anderem als von Maisie Setterton geleitet wurde. Sie war schockiert, als sie mich sah, gewann aber bald ihre kriecherische Freundlichkeit zurück.
»Aber Heaven«, sagte sie langsam, »ich fühle mich geehrt, daß du in mein Geschäft kommst, trotz deines neuen Reichtums. Läßt du wirklich ein Landmädchen wie mich deine Haare machen?«
»Ich möchte wieder meine natürliche Haarfarbe haben, Maisie«, schnitt ich ihr das Wort ab. »Und dies ist der einzige Friseur in der Stadt.« Das brachte sie zum Schweigen, und sie sprach kein weiteres Wort, während sie die Farbe mischte, meine Haare bürstete und färbte. Zwei Stunden später verließ ich das Haus und sah wieder sehr wie Heaven Leigh Casteel aus, die jetzt Heaven Leigh Stonewall war. Ja, wenn die Leute aus Winnerow mich jetzt sahen, dann mußten sie sich an das arme Dreckmädchen aus den Bergen erinnern, auf das sie immer herabgesehen hatten, und sie würden immer vor Augen haben, daß genau sie es war, die ihre Stadt wiederbelebte. Ich wollte nicht länger aussehen wie eine Tatterton. Wie Lukes Angel. Wie Tonys Leigh. Der falsche Mann hatte Angel in mir gesehen. Denn es war nicht Pas Liebe, die ich gewonnen hatte, als ich mein Haar wie ihres färbte, sondern Tonys Begierde. Jetzt würde ich auch das hinter mir lassen. Ich würde die sein, die ich wirklich war, und ich würde mich niemals mehr dafür schämen. Ich fühlte mich stolz und stark, als ich meine Besorgungen in Winnerow machte und die Augen bemerkte, die mich
Weitere Kostenlose Bücher