Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
schütterem grauem Haar. Er hatte teilweise schon eine Glatze, die mit den gleichen Sommersprossen bedeckt war wie seine Stirn und Schläfen. Sein Gesichtsausdruck war herzlich, und die Augen lächelten. Nikolausaugen, dachte ich. Wenn er einen Bart hätte und mehr Haare auf dem Kopf, könnte er den Nikolaus spielen. Natürlich nur, wenn man den roten Mantel ein wenig ausstopfen würde.
Vom ersten Moment an fühlte sich Drake zu ihm hingezogen, und umgekehrt war es genauso.
»Ich werde Ihnen bei all dem helfen, Mrs. Stonewall«, sagte er, »das heißt, ich und der junge Mann hier. Mein Name ist Appleberry.« Er gab mir seine Hand. Es war eine Hand mit langen Fingern, die Hand eines Mannes, der es gewohnt war, mit Pflanzen, Bäumen und Blumen zu arbeiten. »Und wer sind Sie?«
Drake mußte beinahe lachen, zum ersten Mal, seit ich ihn aus Atlanta mitgenommen hatte.
»Ich bin Drake«, sagte er. Appleberry ergriff seine Hand und schüttelte sie ordentlich.
»Erfreut, Sie kennenzulernen, Mr. Drake. Würden Sie vielleicht dieses hier nehmen?« Er gab Drake eine kleine Leinentasche, Drake nahm sie und hielt sie mit beiden Händen fest an sich gepreßt. Stolz sah er zu mir auf.
»Prima. Ein starker junger Mann«, sagte Appleberry und zwinkerte mir zu.
»Danke, Mr. Appleberry«, sagte ich, und wir gingen ins Haus. Logan und Appleberry trugen unser Gepäck hinein. Ich packte einen von Drakes Koffern und ihn selbst und brachte ihn gleich in sein Schlafzimmer.
»Morgen kannst du das Haus erkunden, Drake«, sagte ich. »Es wird schon spät, und du bist müde von der Reise. In Ordnung?«
»Sehr weise Entscheidung, Mr. Drake«, sagte Mr. Appleberry, als er die restlichen Sachen von Drake brachte. »Ein guter Schlaf bringt einen guten Tag. Ich wünsche eine gute Nacht, aber morgen früh, wenn du gefrühstückt hast, werde ich in der Nähe sein. Wir müßten einiges Laub zusammenrechen, wenn du Lust hast.«
Drake sah erst mich an und dann Appleberry. Ich sah ihm an, daß er sich fragte, ob ich ihm erlauben würde, richtig zu arbeiten. Ich lächelte. Da nickte er schnell.
»Prima, bis dann«, sagte Appleberry und ging. Ich brachte Drake ins Badezimmer, wusch ihn und machte ihn fertig fürs Bett. Von unten in der Halle horte ich, wie Logan mein Gepäck hereinbrachte und einige Sachen von ihm, die ich gepackt und aus Farthinggale mitgebracht hatte.
Drakes Bett war ein breites Doppelbett, am Kopfende ein Brett aus hellem Eichenholz. Die Matratze fühlte sich hart und neu an, und die Steppdecken waren frisch und rochen nach Pfefferminz. Soweit ich es bei dem kurzen Rundgang durch das Haus hatte sehen können, war es in tadellosem Zustand.
Nachdem ich mich niedergekniet und Drake einen Gutenachtkuß gegeben hatte, tat er mir auf einmal sehr leid. Er war aus der einen Familie herausgerissen worden, in ein anderes Haus gekommen und dann wieder fortgebracht worden. Wieder einmal wurde er in einer fremden Umgebung zu Bett gebracht, das Feuerwehrauto neben sich, seine einzige Verbindung zur unmittelbaren Vergangenheit.
»Das ist das Ende deiner verwirrenden Reise, mein lieber, lieber Drake«, flüsterte ich, »ich verspreche dir, das wird jetzt dein Zuhause werden. Es ist gut, daß du da lebst, wo dein Vater seine Wurzeln hatte, selbst wenn du ein weit, weit besseres Leben führen wirst, als alle deine Verwandten jemals hatten.«
Es kam mir in den Sinn, daß ich ihn eines Tages mit in die Willies nehmen und ihm die Gräber seiner Großmutter und seines Großvaters zeigen könnte. Er würde die Holzhütte sehen, die jetzt allerdings ein modernes Jagdhaus war, und er würde auf dem gleichen Boden spielen, auf dem Tom und Keith gespielt hatten. Luke hätte ihn wahrscheinlich niemals hierher gebracht, dachte ich.
So wie er war, hätte er sich Lügen ausgedacht, um seine Vergangenheit vor seinem Sohn zu verstecken.
Ich verließ das Zimmer und ging direkt zu unserem Schlafzimmer, um Logan alles zu erzählen. Mein Herz klopfte, denn ich hatte ihm viel verschwiegen, was ich jetzt erklären mußte. Ich schämte mich dafür.
Logan ging nervös im Zimmer auf und ab. Als ich eintrat, blieb er stehen. »Nun«, sagte er, »dann erzähl mal. Und zwar alles.«
Ich holte tief Luft und begann zu beschreiben, was Tony getan hatte, um Luke von mir fernzuhalten; ich erzählte von der Übereinkunft, die ich in seinen Unterlagen gefunden hatte, und was er sagte, als ich ihn damit konfrontierte. Logan saß auf dem Stuhl vor dem Schminktisch und
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