Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
lächerlich. So etwas Lächerliches kannst du doch nicht behaupten, Rye. Es tut mir leid, daß ich es jemals zugelassen habe, daß du mich mit deinen abergläubischen Geschichten unterhältst.«
»Es tut mir leid, Miss. Ich muß jetzt zurück in die Küche und das Frühstück für Mrs. Tatterton fertig machen.«
»Geh zu. Du warst wirklich keine Hilfe.« Ich sah ihm nach, als er fortging. Dann schaute ich Curtis an, der, mit unbewegtem Gesicht wie immer, dastand. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie diesem Schwachsinn Glauben schenken«, sagte ich. Aber ich klang nicht ganz so überzeugend, wie ich es eigentlich wollte. Mein Frühstück ließ ich stehen und ging nach draußen, um nachzudenken.
Seit dem Tag, an dem ich mich verirrt hatte, war ich dem Labyrinth aus dem Weg gegangen. Aber heute morgen fühlte ich mich auf unerklärliche Weise von ihm angezogen. Vielleicht war das auf die seltsamen Ereignisse zurückzuführen, die sich in der vergangenen Nacht abgespielt hatten. In dem Augenblick, als ich nach draußen trat, kam es mir vor, als befände ich mich in einem Traum. Das Blau des Morgenhimmels verdunkelte sich, als sich eine große Wolke vor die Sonne schob. Ein Großteil des Nebels und Morgentaus hatte sich unter ihrer Glut aufgelöst, bis auf jenen Dunst, der scheinbar immer wie ein Ring das Labyrinth umschloß. Ich ging so schnell wie damals, als Troy noch lebte und ich zwischen seiner kleinen Hütte und dem Haupthaus hin- und herzuhuschen pflegte. Ich schloß die Augen und atmete tief den köstlichen Duft der blühenden Hecken ein. Dann betrat ich das Labyrinth und folgte dem ausgetretenen Pfad, der mich sicher zu der kleinen Hütte führen würde. Ich ging, so schnell ich nur konnte. Als ich schließlich auf der anderen Seite wieder herauskam und direkt vor der Hütte stand, mußte ich nach Luft ringen. Die große Wolke bewegte sich jetzt von der Sonne fort, und die Welt um mich herum wurde wieder licht.
Ich schaute in die dunklen Gänge des Labyrinths zurück und fühlte mich, als ob ich vom Dunkel ins Licht, vom Leid ins Glück und von der Verzweiflung zur Hoffnung gekommen sei. O ja, das Labyrinth hielt viele Menschen davon ab, es zu durchqueren, denn die meisten fürchteten sich vor seinem Geheimnis. Jedoch hatte ich schon vor langer Zeit eingesehen, daß man etwas wagen muß, um echtes Glück zu finden. Die Hütte war ein Teil des Preises, den ich dafür bezahlen mußte, aber er war es mir wert.
Die Hütte war noch so, wie ich sie das letzte Mal vorgefunden hatte – erstarrt zu einem Bild der Zeitlosigkeit; zwar gut gepflegt, aber dennoch leer und still. Ich verschränkte die Arme über der Brust und ging langsam zur Eingangstür. Dort blieb ich zögernd stehen. Warum war ich zur Hütte zurückgekommen? Warum quälte ich mich selbst? Warum hatte ich zugestimmt, in Farthinggale Manor zu leben, wo ich doch wußte, daß dort all diese Erinnerungen noch lebendig waren? Ich peinigte mich nur selbst mit dem altvertrauten Anblick und dem Duft der Hecken. Bestrafte ich mich nicht für Sünden, die ich nicht begangen hatte?
Oder hatte ich mich doch schuldig gemacht? War es nicht sündhaft, Troy zu lieben, obwohl er mein Onkel war? Hatte ich ihm nicht erst Hoffnungen gemacht, um ihm dann das Herz zu brechen und ihn ganz allein leiden zu lassen? War ich nicht eine Sünderin, weil ich nicht da war, als er mich am meisten brauchte? An jenem Tag, als er sein Leid im Ozean ertränkte? Ich hatte auf den Saiten seines Herzens herumgeklimpert, um ihn dann wie das Klavier im Musikzimmer zurückzulassen, unbenutzt und stumm. Seine Musik klingt nur noch in der Erinnerung nach.
Ja, mit dem Betreten dieser Hütte setzte ich nur die Marter fort. Aber mir war es, als ob ich von einer seltsamen Leidenschaft getrieben würde. Ich öffnete wieder jene Tür und trat in die Hütte ein, die einst der warme und gemütliche Schauplatz unserer Liebe und unserer Versprechen gewesen war.
Als ich das letzte Mal die Hütte betreten hatte, war sie mir so realistisch vorgekommen, daß ich entsetzt davongelaufen war. Ich hatte wohl mehr Staub erwartet, oder daß sie den Anschein von Vergangenheit trüge. Aber Tony hatte sich um sie gekümmert, und so war sie unverändert, war wie zu Troys Lebzeiten. Sie sah genauso aus wie beim letzten Mal, als ich dort war. Genauso wie in meiner Erinnerung, genauso, wie ich sie in meinem Herzen bewahrt hatte. Jetzt aber, da ich blieb und mich genauer umschaute, fühlte ich noch etwas anderes.
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