Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
wie ein Stein in meiner Brust. Vorsichtig löste ich mich aus seiner Umarmung. Troy schlief tief und fest. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der von glücklichen Ferientagen träumt. Vielleicht sah er gerade ein neues Tatterton-Spielzeug vor sich. Vielleicht war es eine Spielzeugwelt, in der zwei Menschen wie wir ohne Widerstände ihre Liebe genießen konnten.
Leise schlüpfte ich aus dem Bett und zog mein Nachthemd und den Morgenmantel an. Ich ging in die Küche, um ein Streichholz für meine Kerze zu holen. Als ich mich zu Troy umdrehte, schlief er noch immer tief, die Augen fest geschlossen, die Lippen leicht geöffnet. Ich dachte kurz daran, ihn noch einmal zu küssen, aber ich hatte Angst, daß er dann aufwachen würde. Es war besser für uns beide, wenn ich einfach ging.
Vielleicht dachte er beim Aufwachen, daß alles nur ein Traum gewesen sei. Wenn ich wieder in meinem Zimmer war und in meinem Bett lag, vielleicht dachte auch ich dann, daß alles nur ein Traum gewesen sei.
Ich schloß die Tür hinter mir, stieg die Treppe hinunter in den Keller und machte mich auf den Weg durch den Tunnel. Es war alles ruhig. Die Stimmen, die mich in der Nacht begleitet hatten, waren durch unseren Liebesakt zum Schweigen gebracht worden. An den Wänden waren keine Gesichter. Ohne Probleme ging ich durch die Dunkelheit und stieg die Treppe hinauf in den hinteren Teil der Küche. Es war noch so früh, daß in dem großen Haus noch alles schlief. Niemand war zu sehen.
Ich ging die Treppe hinauf und hielt im Korridor inne. Die helle Morgensonne setzte sich allmählich durch gegen das Dämmerlicht und die damit verbundene Kälte. Ohne weiteres Zögern ging ich zu meinem Zimmer. Aber noch bevor ich meine Zimmertür erreichte, hörte ich einen entsetzlichen Schrei durch den Korridor hallen. Ich drehte mich um und sah, wie Martha Goodman, die Hände gegen den Kopf gepreßt, aus dem Zimmer von Jillian gelaufen kam. Sie drehte sich im Kreise, bis sie mich im Flur stehen sah.
»Heaven«, schrie sie, »kommen Sie schnell, schnell!«
Ich eilte den Korridor entlang, gerade als Tony aus seinem Zimmer kam. Er schaute mich an, und ich hob den Arm, um ihm zu verstehen zu geben, daß ich von nichts wußte. Wir beide folgten Martha in Jillians Schlafzimmer und sahen dann, was ihre Aufregung verursacht hatte.
Jillian saß zusammengesunken auf ihrem Schminkstuhl und blickte in den leeren Rahmen des Spiegels. Beide Arme hingen an der Seite herunter. Sie trug eine schwarze Wolljacke mit Nerzbesatz am Halsausschnitt und an den Ärmeln. Am Ausschnitt sah man eine schwarzglänzende Seidenbluse hervorblitzen. Ich hatte sie mit dieser Kleidung schon einmal gesehen. Ich weiß noch, wie schön sie darin ausgesehen hatte, wie atemraubend, wie ein Juwel gegen den Hintergrund von schwarzem Samt.
Der Raum roch stark nach ihrem Jasminparfüm. Man konnte den Eindruck bekommen, sie hätte darin gebadet. Ihr Haar war mit perlenbesetzten Kämmen aufgesteckt, und sie war wohl gerade dabei gewesen, sich zu schminken. Eine dicke Schicht von Make-up lag auf ihrem Gesicht, und sie starrte auf den leeren Rahmen, wie versunken in die Illusion ihres eigenen Spiegelbildes. Sie war bei einer dieser langen, komplizierten Schönheitszeremonien gewesen, die immer so viel von ihrer Zeit verschlungen hatten.
Dieses Mal hatte sie sich für ihren letzten Auftritt fertiggemacht. Ich holte tief Luft und griff nach Tonys Arm, als wir beide vor der toten Jillian standen. Auf dem Fußboden lag das Fläschchen mit ihren Beruhigungstabletten.
Martha Goodman weinte hysterisch. Ich ging zu ihr, um sie zu trösten.
»Was ist geschehen?« fragte Tony. Anscheinend wollte er es von jemandem hören, um es zu begreifen. Langsam ging er hinüber zu Jillian und kniete sich neben ihr nieder. Er nahm ihre Hand und blickte in ihr leeres Gesicht. Der Tod ließ das Lächeln unter der dicken Schicht von Schminke noch grotesker aussehen. Er drehte sich zu Martha Goodman und mir um. »Was ist geschehen?«
»O Mr. Tatterton! Ich hatte ja keine Ahnung, daß sie überhaupt begriff, welches Medikament es war, wenn ich ihr die Beruhigungspillen gab. Ich sagte ihr, daß es Vitamine wären, die sie dann auch bereitwillig einnahm. Sie lächelte und nickte und schien richtig wild darauf zu sein.«
»Ja, und?« fragte er. Martha schaute mich an. Warum verstand er denn nicht? Sie wandte sich wieder an Tony.
»Nun, sie hat es wohl die ganze Zeit gewußt. In der Nacht hat sie sich in mein Schlafzimmer
Weitere Kostenlose Bücher