Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
vergessen.«
»Anscheinend war sie um einiges komplizierter, als ich dachte«, sagte ich. Er nickte. »Wir scheinen alle hin- und hergerissen zu werden zwischen Liebe und Haß, in beide Richtungen, im Sturm unserer Gefühle. Es ist fast besser, wenn… wenn man…«
»Wenn man so sein kann wie sie«, bot er an. »Gefangen in einer angenehmen Traumwelt.« Er schaute mich an. »Wie ähnlich du ihr siehst, wie damals, als sie jung und sehr, sehr schön war«, sagte er.
Ich wußte nicht mehr, wann er mich zuletzt dermaßen intensiv angesehen hatte. Ich fühlte mich unwohl.
»Was kann ich denn noch tun?« fragte ich schnell.
»Was? Nichts. Nichts.« Das Telefon klingelte. »Es ist in Ordnung. Bald wird Logan hier sein«, sagte er und nahm den Hörer ab.
Tony blieb fast den ganzen Tag in seinem Büro. Er mochte nichts essen, er trank nur etwas Tee. Als sich die Nachricht verbreitete, kamen Anrufe von seinen Geschäftspartnern und Freunden. Ich stellte fest, daß ich noch eine gute Stunde Zeit hatte, ehe Logan kam. Das gab mir die Gelegenheit, zu Troy zu gehen und ihm die schreckliche Nachricht zu bringen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Tony daran gedacht hatte, ihn zu informieren.
Dieses Mal ging ich sehr schnell durch das Labyrinth, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, welchen Weg ich nehmen mußte. Wie immer um diese Tageszeit war die Fassade des kleinen Hauses in Sonnenlicht gebadet. Sein Bilderbuchaussehen wirkte so einladend, daß man seine Sorgen und Probleme vergessen konnte. Wieder einmal wirkte es wie eine Zuflucht vor der Realität, dieses Mal vor einer traurigen und tragischen Realität.
Ich klopfte leise an die Tür, drehte an dem Türgriff und war überrascht, als ich merkte, daß sie verschlossen war. Ich klopfte lauter. Normalerweise verschloß Troy die Tür der Hütte nicht. Er machte sich keine Sorgen um Diebe, selbst dann nicht, wenn er für längere Zeit fortging. Da ich keine Schritte hörte, blickte ich durch ein Seitenfenster. Das Haus sah ruhig und leer aus. Ich sah kein Zeichen von ihm.
»Troy«, rief ich. »Bist du da?«
Schweigen war die einzige Antwort. Ich ging um die Hausecke und schaute durch das Küchenfenster. Ich konnte ihn nicht sehen, aber etwas anderes erregte meine Aufmerksamkeit. Gegen den Salzstreuer, der mitten auf dem Tisch stand, lehnte ein Umschlag, und ich konnte erkennen, daß Heaven auf ihm stand. Ich merkte auch, daß die Tür zum Keller offen war. Troy hatte wohl angenommen, daß ich durch den Tunnel in das Haus kommen würde. Ich versuchte, ob sich die Fenster öffnen ließen, aber sie waren verriegelt.
Enttäuscht und nichts Gutes ahnend, was der Brief mir bringen würde, eilte ich durch das Labyrinth zum Herrenhaus zurück und durch die Küche zum Tunnel. Ich rannte ihn entlang und dann die Treppe hinauf in die Küche der Hütte. Außer Atem griff ich nach dem Umschlag.
Mein Herz schlug so schnell, daß ich mich hinsetzen mußte, ehe ich den Umschlag aufreißen konnte. Dann zog ich die Blätter heraus und begann zu lesen:
Du meine Liebe, meine große, verbotene Liebe!
Ich kann es kaum glauben, was letzte Nacht geschehen ist, es scheint mir wie ein Traum. Ich habe es mir letztes Jahr so oft gewünscht, daß ich es mir nun, wo es Wirklichkeit wurde, noch immer nicht vorstellen kann.
Lange Zeit habe ich einfach nur dagesessen und an die kostbaren Augenblicke mit Dir gedacht, an Deine warme Umarmung, an die Sanftmut Deiner Augen und Deiner Berührungen. Ich bin dann aufgestanden und habe in meinem Bett nach Strähnen von Deinem Haar gesucht. Zum Glück habe ich welche gefunden. Ich werde sie zu einer Locke binden und dicht an meinem Herzen tragen. Es gibt mir Trost, daß ich dann immer etwas von Dir bei mir tragen kann.
Ich hatte eigentlich vorgehabt, länger hier zu bleiben und Dich von Zeit zu Zeit heimlich zu beobachten, obwohl ich wußte, daß es eine Qual werden würde. Aber es wäre auch schön gewesen, wenn ich Dir beim Spazierengehen hätte zuschauen können. Ich bin ein bißchen wie ein kleiner Schuljunge, ich weiß.
Heute morgen, nicht lange nachdem Du gegangen warst, kam Tony zur Hütte mit der Nachricht, die Du mir gerade auch bringen willst, wie ich vermute. Aber wenn Du kommst, werde ich fort sein. Du denkst sicher, es ist grausam von mir, Tony zu dieser Zeit allein zu lassen. Aber ich habe ihn getröstet, so gut ich konnte, und wir haben die Zeit genutzt zum Reden.
Ich habe ihm nichts von uns erzählt und davon, daß Du letzte
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