Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
bald wie möglich anrufen«, log ich. Ich war froh, sie los zu sein. Wenn sie auch nicht so grausam war wie die anderen, hatte unser Gespräch doch viele unangenehme Erinnerungen an die Zeit in Winterhaven wachgerufen. Ich hatte sie einst erfolgreich in meinem Koffer voller Sorgen vergraben, und es gefiel mir nicht, wenn sie hervorgeholt und zur Schau gestellt wurden, selbst wenn es nur für kurze Zeit war.
Als sie fort war, fragte ich Curtis, ob Tony angerufen hatte oder heimgekommen war. Er verneinte es. So rief ich in seinem Büro an. Seine Sekretärin sagte jedoch, daß er sich nicht gemeldet habe. Besorgter denn je, fragte ich mich, was ich tun sollte. Er hatte sich so merkwürdig verhalten, seit Jillian tot war.
Woher ich schließlich die Eingebung hatte, weiß ich nicht. Ich saß im Wohnzimmer und dachte nach, als mir eine Möglichkeit einfiel. Ich stand hastig auf und eilte aus dem Haus und über die Wiese zu dem Labyrinth. Ich lief durch die Mauer der Hecken, bis ich die Hütte erreichte. Ein kalter Schauer griff an mein Herz, als ich sah, daß Tonys Auto vor dem Haus geparkt war. Leise ging ich auf die Vorderseite des Hauses zu und schaute durch ein kleines Fenster, das halb hinter einem Rosenstrauch verborgen war.
Tony saß in Troys Schaukelstuhl gegenüber dem kleinen Kamin. Er rührte sich kaum. Wahrscheinlich hatte er fast den ganzen Tag dort verbracht, um weiterhin allein zu trauern. Obwohl Troy nicht mehr da war, reichte es aus für Tony, in seines Bruders Umgebung zu sein, in seinem Stuhl zu sitzen, um brüderlichen Trost zu empfangen. Ich wollte zuerst zu ihm gehen, aber dann änderte ich meine Meinung. Manchmal ist das Alleinsein sehr wichtig und fruchtbar, dachte ich. Es war klar, daß Tony nicht wollte, daß man ihn in der Hütte finde. So drehte ich mich um und ging wieder nach Farthy.
Tony kam rechtzeitig zum Essen zurück. Er tat so, als hätte er schwer gearbeitet. Ich brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, daß den ganzen Tag über sein Büro angerufen hatte. Curtis gab ihm einige Notizen, die er nahm, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Dann ging er direkt hinauf in sein Zimmer. Er sagte, er wäre hungrig und wollte zum Essen kommen, deshalb ging ich in mein eigenes Zimmer, um mich umzuziehen.
Gleich nachdem ich geduscht hatte, klingelte mein Telefon. Ich hob ab und erwartete eigentlich Logan zu hören. Doch statt dessen war es Fanny. Seit unserem Streit in der Hütte hatte ich nicht mehr mit ihr gesprochen. Ich erwartete, daß sie mir das vorwerfen würde, aber sie hatte offensichtlich andere Dinge im Kopf, schlimmere Dinge. Sie hatte endlich einen Weg gefunden, mich mitten ins Herz zu treffen.
»Es tut mir leid, das von deiner Großmutter zu hören«, sagte sie.
»Oder hast du sie nicht Großmutter genannt? Vielleicht hattest du eine vornehmere Anrede, jetzt wo du doch zur Bostoner High Society gehörst.«
»Ich habe sie bei ihrem Vornamen genannt«, sagte ich. »Wie geht es dir, Fanny?«
»Es ist lange her, daß du dich das letzte Mal darum gekümmert hast«, sagte sie. Es gab eine kleine Pause, dann fragte sie in singendem Tonfall: »Sag, Heaven Leigh, bist du noch nicht schwanger? Wenn du noch in den Willies lebtest, wärst du es schon.«
»Nein, ich bin es nicht, Fanny. Ich bin noch nicht soweit, daß ich Kinder haben möchte.«
»Oh… na, dann haben wir eine gute Nachricht für dich. Ich bin es nämlich«, behauptete sie fröhlich.
»Wirklich?« Ich setzte mich. Ich war sicher, sie würde im nächsten Moment anfangen, mir von Randall zu erzählen, wie sie miteinander zurechtkamen und wie er sie geschwängert hatte. Aber sie hatte andere Überraschungen im Sinn.
»Und das ist nicht mein Fehler, Heaven. Das ist dein Fehler.«
»Mein Fehler?« Ich machte mich darauf gefaßt, mir anzuhören, daß ich sie allein in Winnerow gelassen hatte, obwohl ich ihr doch früher versprochen hatte, mich immer um sie zu kümmern. Sie warf mir stets vor, daß ich es zugelassen hatte, daß Pa sie an Reverend Wise und dessen Frau verkauft hatte. Ich hätte sie auch davon abhalten sollen, ihm ihr Kind zu verkaufen. Was immer sie jetzt war, was ihr auch geschah, es war meine Schuld.
»Du hättest besser hier sein und dich mehr drum kümmern sollen«, sang sie. Mir gefiel der fröhliche, glückliche Ton in ihrer Stimme nicht. Da schwang etwas mit, etwas ganz Unvorstellbares.
»Kümmern? Kümmern um was? Worüber redest du, Fanny?« Ich versuchte so gelangweilt und so geringschätzig zu
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