Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
mir tagelang das Gehirn zermartert. Es war eine große Versuchung, die Vergangenheit neben Tony, Jillian, Heaven und Logan zu begraben und weiterhin so zu leben, wie jetzt… wie ein Geist, weit weg von der richtigen Welt, beschäftigt nur mit meinen Phantasien, meinen Spielzeugen.
Sie ist so sicher und ohne Gefahren, diese Phantasiewelt. Aber ich habe das Gefühl, das ist etwas, was ihr bereits wißt, denn ihr habt sie als sicheren Zufluchtsort für eure wahren Gefühle gefunden.« Er sah uns wissend an. Wie konnte mich jemand, der mich nur flüchtig kannte, so gut verstehen und meine geheime Qual so rasch erfassen, fragte ich mich.
Er wandte sich seinen winzigen Geschöpfen zu.
»Ich kann mir vorstellen, mein ganzes Leben lang allein zu sein und den Rest meiner Tage mit den Gestalten meiner Phantasie zu verbringen. Das ist meine Art von Verrücktheit, denke ich; sie ist nicht so entkräftend wie Tonys Verrücktheit, aber dennoch eine Art von Flucht.
Aber jetzt, nachdem ich euch beide gesehen habe, weiß ich, daß ich kein Recht dazu habe; ich kann nicht vergessen und mich hier totstellen. Obwohl es schreckliche Wunden wieder aufreißt und mich zwingt, der traurigen Realität ins Auge zu sehen – ich muß es tun; denn ich darf nicht zulassen, daß auch du und Luke das durchmachen müßt, was Heaven und ich erlitten haben.«
»Troy, du darfst dir selbst nicht so wehtun.« Ich blickte zu Luke. »Wir beide wissen es bereits.«
»Ihr wißt Bescheid?«
»Ich habe mir die Spielzeughütte genau angesehen, die du meiner Mutter kurz nach meiner Geburt geschickt hast. Sie stammt doch von dir, nicht wahr?« Er nickte. »Und zufällig machte ich auch die Tür hinter der Küche auf… dieselbe Tür wie diese hier«, fügte ich hinzu und deutete auf den Hinterausgang. »Und da fand ich den Brief, den du meiner Mutter an dem Tag geschrieben hast, an dem Jillian starb und du die Entscheidung trafst, wegzugehen.«
Statt überrascht oder peinlich berührt zu sein, wie ich es erwartet hatte, nickte Troy nur, ein eigenartiges Lächeln in den Mundwinkeln, die Augen in die Ferne gerichtet.
»Sie hat ihn also behalten. Das paßt zu ihr. Auch, daß sie ihn in der Hütte unter der Treppe versteckt hat. O Heaven… meine geliebte Heaven.« Er wandte sich wieder mir zu und sah mir direkt in die Augen. »Dann hast du also herausgefunden, daß deine Mutter und ich uns heimlich liebten.«
Er stand auf, ging zu einem der vorderen Fenster und starrte lange hinaus. Luke ergriff meine Hand, und wir warteten geduldig. Auf einmal schlugen die Uhren die Stunde, und die Tür einer hellblauen Spieluhr – ebenfalls eine Miniatur der Hütte – sprang auf. Die winzige Familie, die darin lebte, kam heraus und zog sich dann wieder zurück – begleitet von der süßen, ergreifenden Musik, die ich so gut kannte…
»Troy…«
»Schon gut«, sagte er und ging zu seinem Stuhl zurück. »Manches von dem, was ich dir nun erzählen will, weißt du vielleicht schon von deiner Mutter.
Vor vielen Jahren, als sie noch ein hartes, entbehrungsreiches Leben in den Willies führte, lernte sie deinen Vater kennen. Sie wurden ein junges Liebespaar, versprachen einander die Treue. Wäre deine Mutter in den Willies geblieben, dann hätte sie wahrscheinlich deinen Vater geheiratet und hätte eine ruhige, glückliche Ehe in Winnerrow geführt. Aber das Schicksal wollte es anders.
Nachdem Luke Casteel seine Familie auseinandergerissen und seine Kinder verkauft hatte, lebte deine Mutter bei einer sehr egoistischen, eifersüchtigen Frau, Kitty Dennison, und ihrem Ehemann Cal. Es war ein hartes Los für deine Mutter, denn Kitty war eifersüchtig auf sie, und Cal… hat sie schließlich für seine Zwecke benutzt. Es ist nicht schwer zu verstehen, wie das geschehen konnte. Deine Mutter war jung und suchte verzweifelt nach jemandem, der sie liebte und gut zu ihr war. Cal, der wesentlich älter war und den sie als eine Art Vaterersatz ansah, fühlte das.
Eine Zeitlang war Logan deshalb sehr verbittert, und nach Kittys Tod, als deine Mutter nach Farthy kam und er auf das College in Boston ging, wies er sie zurück. Sie führte ein sehr einsames Leben hier. Auch ich machte damals eine schwere Zeit durch. Ich war überzeugt davon, daß ich nicht mehr lange leben würde. Ich war verbittert und hatte mich völlig zurückgezogen. Da lernte ich deine Mutter kennen, und eine Zeitlang erfüllte sie mein Leben mit Hoffnung und Glück. Wir sprachen von Heirat und machten
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