Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
Fanny rang die Hände.
»O Gott… O Gott!« rief sie. Mrs. Broadfield wäre vor Schreck beinahe auf den Serviertisch gefallen.
»O Annie, mein Liebling, mein armes Kind!« Tränen strömten über ihr Gesicht, und sie tupfte ihre Wangen mit ihrem seidenen Taschentuch ab. »O Gott, o Gott… schau nur, wie sie da in dem Bett liegt. Mein liebes Kind«, jammerte sie und lehnte sich an Luke. Ihre Schultern wurden von Schluchzen geschüttelt. Dann atmete sie tief durch, kam zu mir und küßte mich auf die Stirn. Ich genoß den Rosenduft, der sie umgab, ihr ganz persönliches Parfüm, das sie sich einmal im Monat direkt aus New York schicken ließ.
Sie hielt mich in den Armen und schluchzte so sehr, daß auch mein Körper bebte. Luke blickte mich ein wenig verlegen an; ihm schien es ziemlich unangenehm zu sein, daß seine Mutter ihre Gefühle so offen zur Schau stellte. Tante Fanny hielt mich so fest an sich gedrückt, als ginge es um ihr Leben. Ihr Schluchzen wurde lauter.
»Na«, sagte Luke, »du machst es nur noch schlimmer. Bitte.«
Tante Fanny zuckte zurück.
»Was?« wieder tupfte sie ihre Augen ab. »O… o Gott… o Gott.«
»Mutter, bitte. Denk daran, was Annie hinter sich hat.« Luke sprach leise, aber seine Stimme klang eindringlich. Meine Mutter hatte immer gesagt, daß niemand Tante Fanny so gut zur Vernunft bringen konnte wie Luke.
»O meine liebe, liebe Annie«, sagte sie und küßte mich auf die Wange, wobei ihre Tränen auf mein Gesicht tropften. Sie wischte sie ab und stand auf.
»Der arme Luke und ich sitzen schon seit Stunden draußen und warten darauf, daß uns die Ärzte und Schwestern zu dir lassen«, fügte sie hinzu und warf Mrs. Broadfield einen strafenden Blick zu. Ihr Kummer hatte sich von einer Sekunde auf die andere in Ärger verwandelt.
»Versuchen Sie, sie nicht aufzuregen«, befahl Mrs. Broadfield und verließ das Zimmer.
»Ich hasse Ärzte und Krankenschwestern, sie ham alle so’n verkniffenes Gesicht. Sehen aus wie Bisamratten. Und ich hasse den Geruch in den Krankenhäusern warum versprühen sie in der Halle nicht so’n Duftspray und bringen ‘n paar Blumen hier rein. Wenn ich je krank werden sollte, Luke, dann will ich, daß du auch so ‘ne Privatschwester einstellst, wie Annie eine hat, klar?« erklärte Tante Fanny. Es war, als könnte Sie ihren Kummer nach Belieben abstreifen wie einen Mantel.
Luke trat an mein Bett. Er sah jung und schön aus wie immer, doch seine Augen waren von Trauer und Schmerz erfüllt.
»Hallo, Annie.«
»Luke, o Luke!«
Sanft ergriff er meine Hand. Die Tränen, die in seinen Augen schimmerten, erfüllten mein Herz mit noch größerem Kummer. Er empfand ebenso tiefe Trauer wie ich, denn auch er hatte ja seinen Vater verloren. Und meine Mutter war oft liebevoller und freundlicher zu ihm gewesen als seine eigene.
»Aber, aber. Hat doch auch keinen Sinn, daß wir alle hier rumstehen und uns die Augen aus’m Kopf weinen«, sagte Tante Fanny plötzlich. »Wir können sie ja doch nich zurückholen. Würde ja alles dafür geben, was ich habe. Glaubt mir, ich hab Heaven mehr geliebt, als ich ihr je gesagt hab. Tut mir leid, daß ich immer so gemein zu ihr war, aber ich konnte einfach nix gegen meine Eifersucht machen. Das hat sie sicher kapiert. Hat mehr für mich getan als ich für sie.« Sie betupfte ihre Augen vorsichtig mit ihrem durchnäßten Taschentuch; dann holte sie tief Luft, und ihre Schultern strafften sich.
»Aber«, verkündete sie, »sie hätte sicher gewollt, daß ich die Dinge jetzt in die Hand nehme.« Tante Fanny nickte bekräftigend. »Ich kann genauso gut für dich sorgen wie dieser widerwärtige alte Knacker, der behauptet, daß er dein Urgroßvater is.«
»Ma«, Luke ergriff ihre linke Hand und wies mit dem Kopf zu mir hinüber, »dies ist nicht der richtige Augenblick…«
»Unsinn! Wir müssen tun, was getan werden muß! Der Kerl behauptet, deine Eltern hätten gewollt, daß er sich jetzt um dich kümmert, aber ich sage…«
Luke warf Fanny einen zornigen Blick zu.
»Ma, Annie ist jetzt nicht in der Verfassung, solche Dinge zu besprechen. Sie hat andere Sorgen.«
»Ist ja okay, daß er sich um die beste medizinische Versorgung für dich kümmert«, fuhr Tante Fanny unbeeindruckt von Lukes Vorhaltungen fort, »aber was Hasbrouck House angeht…«
»Ma, bitte.«
Enttäuscht verzog sie den Mund, so daß man ihre schimmernden weißen Zähne sah, die in reizvollem Kontrast zu ihrem dunklen Teint standen.
»Okay, schon
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