Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
verbunden war.
Am nächsten Tag rief Luke an, um mir den neuen Teil seiner Rede vorzulesen.
»Jeder in Winnerrow weiß von der Tragödie unserer Familie, Annie. So habe ich nachgedacht und mir überlegt, welche Worte Heaven in einer solchen Situation von mir erwartet haben würde.
Annie, du weißt, daß deine Mutter mir ein Vorbild war, vielleicht das größte Vorbild meines Lebens, denn sie wurde in armen Verhältnissen geboren und hat sich mehr oder weniger aus eigener Kraft hochgearbeitet, sie hat gegen so viele Widrigkeiten angekämpft und ist würdig und schön aus diesem Kampf hervorgegangen. Sie hat mir nie das Gefühl gegeben, bei euch zu Hause ein Fremder zu sein… und ich weiß, wie schwer es für sie gewesen sein muß, mich dort zu sehen.«
»O Luke, sie hat nie…«
»Nein Annie, es wäre nur normal gewesen, wenn sie so empfunden hätte. Ich habe das verstanden und…« Seine Stimme brach beinahe. »Und ich habe sie dafür geliebt. Gott möge mir vergeben, aber ich habe sie mehr geliebt als meine eigene Mutter.«
»Ich glaube, sie wußte das, Luke.«
»Ich weiß, daß sie es wußte. Wie dem auch sei«, sagte er und räusperte sich, »ich habe beschlossen, meiner Rede folgende Teil hinzuzufügen. Bist du bereit?«
»Ich hänge am Telefonhörer, Luke.«
»In der Bibel heißt es, daß jedes Ding seine Zeit hat. Es gibt eine Zeit, zu der man geboren wird, und eine andere, zu der man stirbt. Eine Zeit des Lichts und eine Zeit der Dunkelheit. Dies ist ein glücklicher Tag, ein freudvoller Tag; doch für meine Familie ist er noch von der Dunkelheit überschattet. Dennoch ich bin mir sicher, daß meine Tante und… und mein Vater sich wünschen würden, daß ich in der hellen Zone des Lebens verweile und nur daran denke, welche wichtige Bedeutung dieser Tag für meine Familie hat. Ein weiterer Nachkomme von Toby Casteel und seiner liebenden Frau Annie hat sich aus der Armut der Willies emporgekämpft, um seine besten Fähigkeiten zu verwirklichen. So widme ich diesen Tag dem Gedenken an Logan und Heaven Stonewall. Danke.«
Meine Tränen liefen in Strömen. Ich ließ den Hörer in meinen Schoß fallen und weinte und weinte. Luke rief angstvoll: »Annie? Annie? O Annie, ich wollte dich nicht zum Weinen bringen. Annie?« Mrs. Broadfield, die sich vor der Tür mit einer Stationsschwester unterhalten hatte, kam hereingestürzt.
»Was ist los?« fragte sie.
Ich atmete tief durch, bis es mir gelang, meine Trauer und meinen Schmerz soweit zu beherrschen, daß ich sprechen konnte. Dann griff ich wieder nach dem Hörer.
»Luke, es tut mir leid. Es ist so wundervoll. Sie würden stolz auf dich sein. Aber glaubst du«, flüsterte ich, »daß du sagen solltest…«
»Mein Vater? Ja, Annie. Ich will zu meiner Herkunft stehen. Glaubst du, es wäre ihm nicht recht?«
»O nein, ich dachte nur daran, wie es danach für dich…«
»Das ist mir gleichgültig. Ich werde ohnehin aufs College gehen. Und, ehrlich gesagt, in diesem Fall teile ich ausnahmsweise die Meinung meiner Mutter. – Es ist mir egal, was die Heuchler von Winnerrow denken.«
»Ich wünschte mir so sehr, ich könnte an deiner Seite sein.«
»Du wirst an meiner Seite sein, Annie, das weiß ich.«
Ich begann wieder zu schluchzen und verbarg mein Gesicht in den Händen.
Mrs. Broadfield eilte zu meinem Bett; ihr Gesicht war verzerrt vor Ärger.
»Jetzt reicht es«, rief sie. »Legen Sie den Hörer auf! Dieser Anruf ist zu anstrengend für Sie.«
Sie ergriff den Hörer, noch ehe ich ihn selbst wieder in die Hand nehmen konnte.
»Hier spricht Mrs. Broadfield«, sagte sie. »Ich fürchte, Sie müssen Ihre Unterhaltung abbrechen. Annie ist zu schwach für derartige Aufregungen.«
»Bitte lassen Sie mich wieder ans Telefon, Mrs. Broadfield«, bat ich.
»Wir müssen dieser Sache ein Ende setzen. Sie machen sich selbst krank.«
»Ich werde ganz ruhig sein. Ich verspreche es.«
Widerstrebend reichte sie mir das Telefon.
»Es tut mir leid«, sagte Luke sofort, »ich sollte nicht…«
»Es ist alles in Ordnung, Luke. Mir geht es gut. Ich werde jetzt stark sein. Ich weine nur, weil ich so glücklich bin, so glücklich für dich.«
»Ich werde dich gleich nach der Abschlußfeier wieder anrufen und dir erzählen, wie es war.«
»Vergiß es nicht.«
»Eher würde ich das Atmen vergessen«, sagte er.
»Viel Glück, Luke«, schluchzte ich, legte den Hörer auf und übergab Mrs. Broadfield das Telefon.
Dann fiel ich erschöpft zurück in meine
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