Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
genannt wird.«
»Das klingt wie ein Ort aus einem Roman. Nur in Geschichten geben die Leute ihren Häusern Namen.«
»O nein«, widersprach Mama. »Menschen mit Geschichte, mit Häusern, die ihre eigene Geschichte haben, geben ihren Häusern wirklich Namen. Du wirst noch andere Prachtvillen sehen, und ich hoffe, daß du häufiger mit Menschen von der Sorte zusammenkommst.«
»Wolltest du schon immer im großen Stil leben, Mama, auch damals schon, als du in meinem Alter und noch in Texas warst?« Ich hatte nie den Traum gehabt, auf einem herrschaftlichen Landsitz zu leben oder Partys mit Adeligen zu besuchen, deren Häuser so alt und berühmt waren, daß sie ihre eigenen Namen hatten wie Tara in Vom Winde verweht. Wurde von mir erwartet, daß ich solche Dinge anstrebte? Oder war das etwas, was sich von selbst ergab, wenn man älter und reifer wurde?
»Nein, wohl kaum«, sagte Mama. Sie lachte wieder so seltsam. »Ich wollte in einer Dachstube leben, die Geliebte eines armen Poeten in Paris sein und selbst als Künstlerin, die am Hungertuch nagt, meine Werke am Seine-Ufer ausstellen. Abends wollte ich dann in Straßencafés sitzen und zuhören, wie mein Geliebter Freunden seine Gedichte vorliest, aber als ich meiner Mutter diese Dinge erzählt habe, hat sie all das ins Lächerliche gezogen. Sie fand es albern, daß ich Künstlerin werden wollte. Eine Frau sollte nur ein Ziel im Leben haben – Ehefrau und Mutter zu sein.«
»Aber hat sie denn nicht erkannt, wie begabt du warst? War sie denn nicht stolz auf deine Gemälde und Zeichnungen?« fragte ich, obwohl es mir äußerst schwerfiel, mir Mama in einem Dachboden und ohne schöne Kleider und Schmuck und Schminke vorzustellen.
»Sie wollte sie sich gar nicht erst ansehen und hat mich sogar angeschrien, weil ich zuviel Zeit mit dem Malen und Zeichnen verbracht habe. Meinen Schwestern war es durchaus zuzutrauen, meine Bilder zu vernichten. Du machst dir keine Vorstellung davon, wie ich gelitten habe, als ich in deinem Alter war, Leigh.«
Wie gräßlich, dachte ich, wenn die eigene Mutter einen mißachtet, statt einen zu unterstützen. Arme Mama, sie mußte mit diesen scheußlichen Schwestern und einer Mutter leben, die sich nichts aus den Dingen machte, denen ihre Leidenschaft gehörte und die ihr wichtiger als alles andere waren. Sie war wirklich ganz und gar allein, bis Daddy gekommen war und sie von dort fortgeholt hatte. Er hatte sie gerettet, damit sie Künstlerin werden und dennoch die Dinge haben konnte, die sie liebte und sich wünschte.
»Aber jetzt bist du doch glücklich, nicht wahr, Mama? Du hast doch alles, was du willst, oder nicht? Und du kannst Künstlerin sein, stimmt’s?« Sie ließ sich mit ihrer Antwort eine Weile Zeit, und ich wartete still, weil ich wußte, daß sie mir antworten würde.
»Ich habe heute viele kostspielige Dinge, Leigh, aber ich habe mir mein Leben anders vorgestellt.« Sie lächelte sachte. Ich liebte dieses Lächeln, das Funkeln ihrer Augen, wenn sie sich an einen kostbaren Augenblick erinnerte. Daddy hatte ja so recht, wenn er sagte, Erinnerungen seien kostbarer als Juwelen.
»Ich habe mir immer vorgestellt, daß ich alle möglichen Galaveranstaltungen und Partys besuchen und Schiffstaufen miterleben würde, während sich die Kameras und die Reporter der Wochenschau um mich scharen.«
»Aber das hast du doch auch schon gehabt. Ich habe die Fotos gesehen, die Zeitungsausschnitte.«
»Ja, ja, ab und zu gab es Ereignisse, aber ich mußte deinen Vater immer mühsam dazu überreden, solche Dinge zu tun. Er stammt aus einem allzu praktischen und puritanischen Milieu. Sieh dir doch nur an, wie er sich sein Büro eingerichtet hat. In seinen Augen ist das ganz in Ordnung. Alles, was in diesem Raum steht, ist gut genug für ihn, weil es für seinen Vater gut genug war, und der hat wahrscheinlich noch im Tod den ersten Penny, den er je verdient hat, fest umklammert. Wirklich wahr, ich muß aufpassen, daß seine Bürotür geschlossen bleibt, wenn ich jemanden im Haus habe, aber ihn stört das nicht. Kennst du jemanden, der seine Arbeit noch mehr liebt als er?« fragte sie.
»Er versucht doch nur, sein Geschäft erfolgreich zu führen, damit wir glücklich sind«, verteidigte ich ihn.
»Ja, ja, damit wir glücklich sind«, seufzte sie, und ihre Stimme verklang. »Wir kommen bald an, Leigh. Und jetzt schau nach rechts und achte auf eine Lücke zwischen den Bäumen. Der erste Blick auf Farthinggale Manor bleibt jedem
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