Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
dein Leben davon ab.«
»Ich klammere mich nicht an sie, als ginge es um mein Leben«, versetzte ich.
Er lachte wieder. Wenn er lächelte, trat ein warmer Glanz in seine Augen. Nichts an seinem Lächeln war höhnisch, anzüglich oder gekünstelt; es ließ sich nicht mit Tonys hämischem Spott vergleichen. Lukes Lächeln wärmte mich und gab mir ein Gefühl von Sicherheit.
»Ich wollte dich doch nur aufziehen. Und wohin mußt du von hier aus fahren?«
»Nach Texas. Dallas.«
»Das ist noch weit. Wann fährt dein Zug ab?«
»Leider erst um acht Uhr abends.«
»Um acht Uhr abends! Das sind ja noch endlose Stunden. Du kannst doch nicht die ganze Zeit hier sitzen bleiben. Hier ist es staubig und schmutzig und laut. Kennst du denn niemanden in Atlanta?« Ich schüttelte den Kopf, und er dachte einen Moment nach. »Hättest du Lust, dir den Zirkus anzusehen? Ich kann dich umsonst reinbringen. Die Zeit würde schneller vergehen, und später kann ich dich wieder zum Bahnhof bringen.«
»Ich weiß nicht so recht. Ich…«
»Warst du je in einem Zirkus?«
Ich dachte nach. Als kleines Mädchen war ich einmal in Europa im Zirkus gewesen, aber ich konnte mich kaum noch daran erinnern.
»Nein«, sagte ich.
»Dann ist die Sache doch entschieden«, rief Luke und schlug die Hände zusammen. »Komm schon.« Er griff nach meinem Koffer. Ich blieb sitzen. »Komm schon, ich tue dir nichts, und es wird dir Spaß machen.«
Ich überlegte mir sein Angebot. Ich mußte wirklich noch schrecklich lange warten, und er sah nett aus und war so freundlich. Warum denn nicht? entschied ich und stand auf.
»Prima. Ich habe gerade einen Freund zum Bahnhof gebracht und wollte mich eben auf den Rückweg machen«, erklärte er mir, als er mich aus dem Bahnhof führte. »Der Zirkus ist nicht weit von hier. Er bleibt nur noch zwei Tage hier und zieht dann weiter nach Jacksonville.«
»Das klingt, als würdet ihr viel herumreisen«, bemerkte ich. Er schritt zielstrebig und selbstsicher durch den Bahnhof. Ich bewunderte ihn dafür, daß er in seinem Alter schon so selbstbewußt war. Ganz anders als Joshua. Als wir aus dem Bahnhof kamen, führte er mich auf den Parkplatz und deutete auf einen zerbeulten hellbraunen Kleinlaster.
»Das ist mein Rolls-Royce«, sagte er. »Toll ist er nicht, aber er bringt mich überall hin. Ich wette, du bist schickere Fahrzeuge gewöhnt«, fügte er hinzu und zwinkerte.
Ich gab keine Antwort. Er hielt mir die Tür auf, und ich stieg ein. Auf dem Boden lagen drei leere Bierflaschen. Er hob sie schnell auf und warf sie auf die Ladefläche. Der Sitz hatte Risse, und am Armaturenbrett baumelten lose Drähte. Er stieg ein und ließ den Motor an. Er stotterte und starb gleich darauf ab. »Komm schon, Lulu Belle, du solltest unseren Fahrgast beeindrucken und nicht so stur sein. Wie die meisten Frauen«, lachte er, »ist sie launisch.«
»Männer sind genauso launisch«, gab ich zurück.
Der Laster sprang an, und wir fuhren zum Zirkus.
»Hat deine Familie mit dem Zirkus zu tun?« fragte ich ihn.
»Meine Familie?« Er lachte wieder. »Himmel, nein. Mein Daddy war die meiste Zeit seines Lebens so eine Art Farmer und Schwarzbrenner. Ma ist eine hartarbeitende Frau. Sie hat sechs von meiner Sorte großgezogen, und ich fürchte, das ist nicht spurlos an ihr vorübergegangen«, sagte er, und sein Gesicht wurde sanft und traurig. »Du weißt ja, wie man so schön sagt: Entscheidend ist nicht, wie weit man gereist ist, sondern wie schlecht die Straße war.«
»Sechs Kinder sind eine ganze Menge. Wie viele Buben und wie viele Mädchen?«
»Alles Buben, und das hat ihr Leben noch härter gemacht, nehme ich an. Sie hatte nie eine Tochter, die ihr bei der Hausarbeit geholfen hätte.«
»Wo sind deine Brüder?«
»Sie sind weit verstreut. Zwei sind schon auf Abwege geraten. Ehe ich von zu Hause fortgegangen bin, haben wir gehört, daß Jeff und Landon wegen Ladendiebstahls im Gefängnis sitzen.«
»Das tut mir leid«, murmelte ich. Ich hatte nie jemanden kennengelernt, dessen Brüder oder nahe Verwandte Verbrecher waren. Unwillkürlich fürchtete ich mich und fragte mich jetzt doch, ob es nicht ein Fehler gewesen war, mit ihm in den Lastwagen zu steigen.
»Ja, Mama hat es hart getroffen«, sagte er kopfschüttelnd.
»Was ist ein Schwarz… Schwarz…«
»Ein Schwarzbrenner? Junge, Junge, das klingt ja, als hättest du hinter hohen, dicken Mauern gelebt. Schwarzbrenner brennen Whisky, sie stellen ihn illegal her und
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