Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
sprengen schienen.
»Wie bitte?«
»Du brauchst mir nur einen dieser Dollarscheine einen Moment lang anzuvertrauen, und dann zeige ich es dir«, sagte er und setzte sich neben mich. Ich weiß nicht, warum ich es tat, aber ich reichte diesem Jungen einen meiner wertvollen Dollarscheine. Ich wußte, daß arglose Reisende, insbesondere junge Mädchen wie ich, Opfer von Schwindlern und Gaunern werden konnten. Aber er gefiel mir.
Soweit ich sehen konnte, hatte er nichts in den Händen, und er hatte auch keine langen Ärmel, unter denen er etwas verbergen konnte. Er faltete meinen Dollar vor meinen Augen sorgsam, sooft es ging. Dann schloß er die Hand darum und drehte sie um, und ich konnte nur noch seine geschlossene Faust von oben sehen. Er hielt sie vor mich hin und lächelte.
»So, und jetzt berühre meine Hand«, forderte er. Seine Augen funkelten vergnügt.
»Ich soll deine Hand berühren?« Er nickte. Ich legte einen Finger auf den Knöchel seines Mittelfingers und zog ihn schnell wieder zurück. Er lachte.
»Du wirst dir die Finger schon nicht verbrennen, aber es hat genügt«, sagte er und drehte seine Hand um. Die Handfläche wies jetzt wieder nach oben. Dann faltete er vor meinen Augen den Schein auseinander, und es stimmte wahrhaftig – es war ein Fünfdollarschein!
»Wie hast du das gemacht?« fragte ich mit aufgerissenen Augen.
Er zuckte mit den Achseln. »Zauberei, was sonst? Jedenfalls hat es geklappt, und jetzt nimm deine fünf Dollar«, sagte er und reichte mir den Schein. »So, wie du dein Geld bis auf den letzten Penny gezählt hast, sieht es ganz danach aus, als könntest du vier Dollar mehr gebrauchen«, sagte er.
»Ach, ja?« Mein Gesicht wurde glutrot. »Ich bin es jedenfalls nicht gewöhnt, Geld von Fremden anzunehmen, noch nicht einmal Zaubergeld«, erwiderte ich und drückte ihm den Fünf dollarschein wieder in die Hand.
»Na gut, dann bin ich eben kein Fremder«, sagte er. Er lehnte sich zurück und hielt die Hände mit den Handflächen nach oben vor sich hin. »Ich heiße Thomas Luke Casteel, aber so ziemlich alle nennen mich einfach Luke. Und wer bist du?« Er hielt mir die Hand hin.
Ich starrte ihn an und wußte nicht, ob ich lachen oder aufstehen und weggehen sollte. Er sah zu gut aus, um ein Betrüger zu sein, fand ich; oder besser gesagt, ich hoffte es.
»Leigh van Voreen.« Ich drückte ihm die Hand.
»Siehst du, jetzt sind wir keine Fremden mehr, und du kannst das Zaubergeld behalten.«
»Ich brauche es wirklich nicht. Ich habe genug, um mein Ziel zu erreichen. Ich bestehe darauf, daß du den Schein wieder in meinen Dollar zurückverwandelst.«
Er lachte. »Den Zauber, mit dem man das Geld zurückverwandelt, kenne ich nicht. Tut mir leid.«
»Es ist sehr dumm von dir, dein Geld zu verschenken.«
Er zuckte mit den Achseln. »Wie gewonnen, so zerronnen. Außerdem war es weit mehr als vier Dollar wert, dein Gesicht zu sehen, als ich dir meinen Trick vorgeführt habe«, sagte er und sah mich fest an. Ich spürte, wie ich errötete.
»Bist du ein Zauberer?«
»Eigentlich nicht. Ich habe hier in der Nähe in einem Zirkus gearbeitet, und von den Zirkusleuten habe ich viele Tricks gelernt. Es ist phantastisch, solche Leute zu kennen. Sie halten zusammen und gehen gemeinsam durch dick und dünn. Sie sind unglaublich hilfsbereit, und manche von ihnen sind schon um die ganze Welt gereist und wissen sehr viel. Einfach dazusitzen und ihnen zuzuhören, wenn sie miteinander reden – da kann man viel lernen. Wissen und Erfahrung sind die Dinge, die einen älter machen«, fügte er stolz hinzu.
»Du siehst nicht allzu alt aus.«
»Ich bin siebzehn. Aber allzu alt scheinst du auch nicht zu sein.«
»Ich bin fast vierzehn.«
»Na, dann sind wir ja nicht viel älter als Romeo und Julia«, sagte er. »Die Herzogin hat mir von ihnen erzählt. Sie war in Europa Schauspielerin. Jetzt tritt sie in der Messerwerfernummer mit ihrem Mann auf.«
»Soll das heißen, daß sie dasteht, während er Messer dicht neben sie wirft?«
»Ja.«
»Das könnte ich nie. Und was wäre, wenn ihr Mann wütend auf sie wäre?« fragte ich.
Luke lachte wieder. »Darüber werden in allen Zelten Witze gemacht. Es ist nicht so gefährlich, wie es aussieht. Es ist eine reine Frage der Technik wie bei fast allen anderen Zirkusnummern auch, aber genau das ist es, was ich am Zirkus liebe – die Illusionen, die Scheinwelt, die Spannung.«
»Das klingt, als könnte es Spaß machen. Was tust du dort?«
»Ich habe
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