Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
Luke nur zu, und wir konnten hineingehen. Er zog mich zu den Plätzen, die er für die besten von allen hielt. Als wir saßen, kaufte er Erdnüsse und für mich eine Limonade, für sich ein Bier.
Ich wandte mich der Manege zu. Die Musik hatte eingesetzt, und die Clowns fielen herein. Sie ohrfeigten sich und stolperten übereinander, spritzten sich gegenseitig mit Wasserpistolen an und ließen sich Ballons, die mit Wasser gefüllt waren, auf die Köpfe fallen.
Während die Clowns noch miteinander spaßten, führte ein junges Mädchen, das gewiß nicht älter als ich war und ein goldenes Kostüm trug, auf dem bunte Pailletten in allen Farben glitzerten, auf einem Schwebebalken akrobatische Kunststücke vor, schlug Purzelbäume, stand auf den Händen oder auf dem Kopf, machte Saltos vorwärts und rückwärts und raubte dem Publikum den Atem. Der Ansager kündigte eine Zirkusnummer nach der anderen an: Jongleure, Zauberer, Parterreakrobaten.
Ein Trommelwirbel ertönte, und zwei gutaussehende Männer und eine wunderschöne Frau kamen mitten in das Zelt gelaufen, verbeugten sich und kletterten dann an Seilen unter die Zirkuskuppel. Mein Herz schlug vor Spannung schneller. Wohin ich auch schaute, es gab überall etwas zu sehen. Als ich mich zu Luke umdrehte, merkte ich, daß er mich die ganze Zeit anschaute.
»Es ist aufregend, nicht wahr?« sagte er. »Verstehst du jetzt, warum ich den Zirkus liebe?«
»O ja. Es ist wundervoll.«
»Das ist erst der Anfang«, meinte er. »Wir werden uns das Programm ganz ansehen.«
Er verschlang seine Finger mit den meinen und hielt sachte meine Hand. Ich hatte nichts dagegen – im Gegenteil, es war mir äußerst angenehm. Die Musik und das Gelächter, die spektakulären Auftritte und das ständige Plaudern über die einzelnen Nummern, der Applaus und die Spannung, die in der Luft hing, ließen Stunden zu Minuten und Minuten zu Sekunden werden. Ich verlor jedes Gefühl für Zeit und Raum. Solange ich dort im Zirkus saß, dachte ich noch nicht einmal an meine Lage und daran, daß ich von zu Hause fortgelaufen war. Es war, als hätte die Welt aufgehört sich zu drehen.
In der Pause kauften wir Hamburger und Pommes frites in Tüten. Dann aßen wir Eis am Stiel mit Karamel und Mandelsplittern. Luke bezahlte ständig alles, obwohl ich ihm anbot, einen Teil meines Geldes dafür auszugeben.
»Du hast doch nur Zaubergeld«, lachte er. »Das wäre unfair. Sobald du es den Verkäufern gibst, löst es sich in ihren Händen auf und verschwindet.«
»Luke, ich kann nicht zulassen, daß du alles bezahlst. Du arbeitest so hart für dein Geld.«
»Mir macht das nichts aus. Es gibt nicht viel, wofür ich mein Geld ausgeben könnte, und ich hatte noch nie Gelegenheit, es für jemanden auszugeben, der so schön und so nett ist wie du, Leigh«, sagte er. Wir hielten uns wieder an den Händen. Einen Moment lang brachte ich kein Wort heraus. Obwohl wir im Zirkuszelt saßen und von Hunderten von Menschen umgeben waren, hatte ich wieder das Gefühl, daß wir ganz allein waren. Bevor ich begriff, was geschah, beugte er sich zu mir vor und gab mir einen schnellen Kuß auf die Lippen.
»Entschuldige«, sagte er. »Ich war so fasziniert, daß ich… ich… ich konnte es einfach nicht lassen«, stammelte er.
»Es ist schon gut.« Ich wandte mich wieder der Manege zu, aber mein Herz klopfte so heftig, daß ich glaubte, man könne es über das Gelächter und Getöse um uns herum hören. Luke schwieg, aber ab und zu sahen wir uns an und lächelten.
Erst nach der Abschlußnummer der Vorstellung dachte ich wieder an die Zeit. Ich schaute auf meine Armbanduhr und erschrak.
»Luke, sieh doch nur, wie spät es ist! Ich werde meinen Zug verpassen!«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte er, aber er war auch erschrocken. Wir versuchten, rasch das Zelt zu verlassen, doch die Menschenmenge war dicht, und die Leute drängten sich an allen Ausgängen. Uns blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis wir an der Reihe waren. Sobald wir aus dem Zelt kamen, rannten wir über das Gelände zu Lukes Zelt. Luke sauste hinein und kam mit meinem Koffer und dem Teddy in der Hand wieder heraus. Dann stiegen wir in seinen Lastwagen.
Er sprang nicht an. Er versuchte es immer wieder. Er schlug wütend auf das Armaturenbrett und stieg aus, um die Motorhaube zu öffnen und sich am Motor zu schaffen zu machen. Es dauerte eine Weile, aber endlich gelang es ihm, den Wagen anzulassen, und wir fuhren zum Bahnhof. Keiner von uns beiden
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