Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
verkaufen ihn unter der Hand. Sie haben ihre eigenen, selbstgebastelten Destillierapparate und produzieren diesen billigen Whisky, den sie dann überall verkaufen. Die meiste Zeit macht ihnen niemand Ärger, aber ab und zu kommt es vor, daß jemand vom Staat auftaucht. Ma paßt es nicht, daß Pa Whisky brennt, und daher tut er es heute kaum noch. In der letzten Zeit hat er seltsame Arbeiten angenommen, als Mädchen für alles. Er ist handwerklich sehr geschickt, ein guter Zimmermann. Wenn wir schon von Puppen und so was sprechen, du solltest mal die Holzfiguren sehen, die er schnitzt, wenn er Lust dazu hat. Er kann doch wirklich Stunden über Stunden auf unserer Veranda sitzen und an einem blöden Stück Holz rumschnitzen, und hinterher ist es dann ein Karnickel oder ein Eichhörnchen und sieht so echt aus, daß man meint, es könnte ihm jeden Moment aus der Hand springen.«
Ich lachte. Er hatte eine so bildhafte Ausdrucksweise, und doch klang alles so wahr, so realistisch und so aufrichtig. Ich mochte ihn, und in gewisser Weise beneidete ich ihn um das Leben, das er geführt hatte, und um die einfache Welt, in der er aufgewachsen war.
Er bog ein paarmal ab, und bald sah ich die orangefarbenen Zirkuszelte vor uns aufragen. Menschenscharen gingen ein und aus. Luke winkte einem Mann zu, der den Verkehr regelte, und dann kehrte er um, damit er durch eine Lücke in der Absperrung fahren konnte, die aus Pflöcken und Seilen bestand. Wir holperten über das Feld und kamen an den Elefanten vorbei, die uns mit wenig Interesse musterten, und dann hielt Luke hinter einem der kleineren Zelte an.
»Ich arbeite hier«, erklärte Luke. »Ich füttere die Tiere und reibe sie trocken. Das ist nicht der tollste Job, aber er gibt mir die Möglichkeit, beim Zirkus zu sein. Komm. Wir können deinen Koffer und deine Puppe ins Zelt bringen. Ich habe eine Matratze in der Ecke liegen. Das ist mein Platz. Dort macht sich niemand an deinen Sachen zu schaffen.« Er bemerkte mein Zögern und fügte hinzu: »Ein Gutes an den Zirkusleuten ist, daß sie sich niemals bestehlen. Das mag ich an ihnen – ihre moralischen Grundsätze. Das funktioniert viel besser als in der übrigen Welt.«
Ich stieg aus und folgte ihm ins Zelt. Dort standen Eimer und Reinigungsgeräte, Futtersäcke, Leinen und andere Gerätschaften. Ganz hinten lag eine alte Matratze auf einem Polster aus Heu. Das mußte sein Lager sein.
»Hier schlafe ich«, erklärte er. »Das sind meine Sachen.« Er deutete auf einen Rucksack. »Warum packst du deine Puppe nicht in deinen Koffer und läßt ihn gleich neben meinem Rucksack stehen?«
Ich nickte und öffnete meinen Koffer. Er stand neben mir und sah auf mich herunter, als ich Angel sorgsam einwickelte und sie in den Koffer legte. Dann schloß ich den Koffer wieder, und er stellte ihn neben seinen Rucksack.
»So. Und jetzt laß uns unseren Spaß haben«, sagte er. Ich ging mit ihm aus dem Zelt und folgte ihm zu den Buden, die wie auf einem Volksfest aufgebaut worden waren. Dort konnte man Eßbares kaufen, aber man konnte auch spielen und reiten. Es war ein wunderbarer Tag für ein Volksfest und einen Zirkusbesuch. Es waren gerade so viele Wolken am Himmel, daß die Sonne nicht heiß herunterbrannte, und doch war es warm, und ein lauer Wind wehte. Alle kannten Luke, und als ich sah, wie sie ihm zuwinkten und ihn begrüßten, wußte ich, daß sie ihn sehr gern hatten.
Sobald wir auf dem Rummelplatz angekommen waren, überredete er mich, mit ihm Riesenrad zu fahren. Es war zwar kein allzu großes, aber als wir oben angekommen waren, hatten wir einen wunderbaren Ausblick auf Atlanta. Die Kabine schaukelte hin und her, und mir blieb die Luft weg. Ich quietschte vor Freude, und Luke lachte und legte seinen Arm um meine Schultern. Ich fühlte mich geborgen in seinen starken Armen.
»Möchtest du ein Bier?« fragte er, nachdem wir ausgestiegen waren. »Ich kann es umsonst bekommen.« Er zwinkerte mir zu. Dabei wies er auf den jungen Mann, der den Ausschank betrieb.
»Nein, danke«, erwiderte ich. Er brachte mir eine Limonade mit.
Anschließend versuchte er sein Glück im Pfeilwerfen. Er war sehr verärgert, als er nichts gewann.
»Probier etwas anderes«, riet ich ihm. »Mein Vater hat immer wieder zu mir gesagt, wenn etwas einfach nicht klappen will, soll man es eine Zeitlang bleiben lassen und etwas anderes tun.«
Er nickte nachdenklich. »Du hast recht, Leigh. Manchmal kann ich hartnäckig und dumm sein, und dann verspiele ich
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